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Die 10 besten Partien aller Kandidatenturniere

Die 10 besten Partien aller Kandidatenturniere

NathanielGreen
| 24 | Bemerkenswerte Partien

Kein anderes Schachturnier hat mehr Tradition und Bedeutung als das Kandidatenturnier. Schließlich wird hier bestimmt, wer den amtierenden Weltmeister zu einem Titelkampf herausfordern darf.

Je nach Zählweise werden Kandidatenturniere seit mindestens 70 oder seit fast 140 Jahren gespielt. Der Gewinner wird, zumindest für den Moment, der zweitbeste Spieler der Welt und erhält die Chance, um die Weltmeisterkrone zu spielen. Und deshalb bedeutet es mehr als überall sonst, wenn einem Spieler bei einem Kandidatenturnier eine großartige Partie gelingt.

Wollt Ihr das wichtigste Turnier des Jahres live verfolgen? Das ist ganz leicht, denn das Kandidatenturnier 2022 wird von Chess.com auf allen Kanälen übertragen: Auf Chess.com/TV und Chess.com/Events, unserem Twitch-Kanal und auf YouTube. Das Turnier beginnt am 17. Juni!

Turniere und Duelle zwischen zwei Spielern sind seit ewigen Zeiten eng miteinander verbunden. Eine apokryphe Geschichte besagt, dass nach dem Londoner Turnier von 1883 jemand "den besten Schachspieler der Welt" bat, aufzustehen, um einen Applaus zu erhalten und dann standen die punktgleichen erstplatzierten Wilhelm Steinitz und Johannes Zukertort beide auf. Drei Jahre später spielten die beiden um die Weltmeisterschaft und Steinitz hat gewonnen. Es hat dann zwar einige Zeit gedauert, bis ein offizielles Kandidatenturnier direkt mit einem Duell um die Schachweltmeisterschaft verknüpft wurde, aber die Saat war gesät und es ging ziemlich schnell etwas auf.

Direkt zu den Partien: 1889 (Pollock) | 1938 (Botvinnik) | 1950 (Bronstein) | 1953 (Smyslov) | 1962 (Fischer) | 1974 (Karpov) | 1983 (Smyslov) | 1997 (Seirawan) | 2013 (Carlsen) | 2020-21 (Caruana)


New York 1889

Niemand nannte es ein Kandidatenturnier, aber trotzdem war es die Absicht des 6. Amerikanischen Schachkongresses in New York im Jahr 1889, einen Herausforderer für Steinitz zu bestimmen. Letztendlich ist das auch gelungen, aber keiner der beiden Gewinner, Mikhail Chigorin und Max Weiss spielte am Ende gegen Steinitz. Der Spielstil von Weiß leistete ihm im Turnier gute Dienste in diesem Turnier, aber er war dem romantischen, verwegenen Stil von William Pollock (den damals übrigens die meisten Spieler außer Steinitz und Weiss bevorzugten) nicht gewachsen.

Stattdessen spielte dann Isidor Gunsberg ein Match mit Steinitz, das der amtierende Weltmeister mit 6 Siegen, 9 Remis und 4 Niederlagen gewann. Eine interessante Randbemerkung ist noch, dass dies der erste von drei Titelkämpfen war, in dem die Anzahl der möglichen Partien begrenzt war, was sich als wichtiger Präzedenzfall herausstellte, da es im Laufe der Zeit immer häufiger zu Remis kam.

Nach dem New Yorker Turnier von 1889 gab es einige Jahrzehnte kein weiteres Turnier mit dem ausdrücklichen Ziel, einen Herausforderer zu finden. Stattdessen reichte oft schon ein erfolgreiches Turnier mit einem starken Teilnehmerfeld als Grundlage für eine Herausforderung. Das bekannteste Beispiel dafür ist Frank Marshalls überwältigender Sieg beim Cambridge Springs Turnier von 1904, ohne den er Emanuel Lasker wohl nie herausfordern hätte können (obwohl Herausforderung ein relativer Begriff ist). 

AVRO 1938

Auch in den folgenden Jahren spielte keiner der Gewinner um die Weltmeisterschaft, denn die Weltmeister von Steinitz bis Aljechin nahmen Herausforderungen nur nach eigenen Ermessen an, wobei einige hoffnungsvolle Herausforderer, darunter Aljechin selbst, auf der Strecke blieben.

Erst unter Alexander Aljechin Regentschaft begannen sich die Dinge zu ändern. Aljechin selbst verteidigte zwar seinen Titel, den er gegen Jose Capablanca gewonnen hatte, zweimal gegen Efim Bogoljubov und verlor ihn dann an Max Euwe. Gegen Capablanca sowie gegen die Stars der neuen Generation wie Reuben Fine, Paul Keres oder Mikhail Botvinnik trat er aber niemals an.

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Alexander Aljechin.

Er hätte es allerdings vorgehabt, denn nachdem das holländische Medienunternehmen AVRO ein Turnier gesponsert hatte, bei dem der ideale Herausforderer für Aljechin gefunden werden sollte, hatte Aljechin zugestimmt, seinen Titel gegen den Sieger dieses Turniers zu verteidigen. Es wurde eines der stärksten Turniere aller Zeiten und Keres gewann es vor Fine. Allerdings hat dann der Zweite Weltkrieg ein Match zwischen Aljechin und Keres verhindert und somit ist Keres der zweite Spieler nach Akiba Rubinstein, die aufgrund eines Weltkrieges einer Chance, Weltmeister zu werden, beraubt wurden.

Das AVRO-Turnier erfüllte aber trotzdem seinen Zweck, denn nach Aljechins Tod hat die bessere Hälfte des Teilnehmerfeldes ein Turnier um die Weltmeisterschaft gespielt. Der spätere Weltmeister Botvinnik, wurde zwar beim AVRO-Turnier nur Dritter (genau wie Gunsberg 1889 in New York), aber er hat auch die berühmteste Partie des Turniers gespielt.

Budapest 1950

Nach Aljechins Tod im Jahr 1946 und Botvinniks Erfolg im Jahr 1948 hatte die FIDE die volle Kontrolle über die Weltmeisterschaft erlangt und formelle Turniere wurden schließlich zur Norm für die Auswahl der Herausforderer. Das erste offizielle Kandidatenturnier fand 1950 in der ungarischen Hauptstadt Budapest statt.

Dort waren aber dann die verschiedenen Intrigen interessanter als die Partien und wie in New York lagen am Ende zwei Spieler punktgleich auf dem ersten Platz. Diesmal wollten beide Gewinner um den Titel spielen, aber beide zu ihren eigenen Bedingungen. Die einen behaupteten, dass sich Boleslavsky am Ende des Turniers absichtlich zurückgehalten hatte, damit David Bronstein noch aufholen konnte, weil er sich in einem Eins-gegen-Eins gegen Botvinnik nur geringe Chancen ausgerechnet hatte und deshalb auf eine Drei-Spieler-Meisterschaft gegen Botvinnik und Bronstein gehofft hatte. Andere behaupten, Boleslavsky hatte gedacht, dass er seinen riesigen Vorsprung mit Remis über die Ziellinie retten konnte und niemals damit gerechnet hatte, dass Bronstein seine letzten beiden Partien gewinnen würde. Insbesondere nicht diese gegen Paul Keres, die es auch in die Liste der besten Partien aller Kandidatenturnier geschafft hat.

Nach dem Turnier entschieden dann die FIDE und der sowjetische Verband, dass Bronstein und Boleslavsky ein Match bestreiten sollten, um zu entscheiden, wer gegen Botvinnik spielen würde. Bronstein gewann das Duell und kam bei der anschließenden WM gegen Botvinnik nicht über ein 12:12 hinaus und damals besagten die Regeln noch, dass bei einem Gleichstand nach 24 Partien der Weltmeister seinen Titel behalten würde.

Zürich 1953

Das Kandidatenturnier 1953 in Zürich ist auch dank der beiden Bücher, die Bronstein und Miguel Najdorf über das Turnier geschrieben haben, eines der bekanntesten Kandidatenturniere überhaupt.

In der 24. von 28 Runden spielte der spätere Turniersieger Vasily Smyslov gegen Keres eine der besten Defensivpartien aller Zeiten. Zuerst wehrte er alle Angriffe auf das Feld h8 gekonnt ab und dann entschied sein Freibauer auf der c-Linie die Partie.

Auch Smyslov kam in der anschließenden WM gegen Botvinnik nicht über ein 12:12 Unentschieden hinaus.

Curacao 1962

Das Kandidatenturnier 1962 in Curacao ist auch wegen Bobby Fischers Behauptung, die sowjetischen Spieler würden bei den Partien gegen westliche Spieler zusammenarbeiten und gegeneinander energiesparende Remis vereinbaren, berühmt geworden. Zum wirklichen Streit kam es aber zwischen Bobby Fischer und Pal Benko, nachdem Benko Fischers Sekundanten bei der Analyse einer Hängepartie um Hilfe gebeten hatte.

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Pal Benko. Foto: F. N. Broers/Dutch National Archives, CC.

Fischers Leistung von 14 Punkten aus 27 hätte wohl auch dann nicht gereicht, wenn sich die Sowjets nicht gegenseitig unterstützt hätten, aber eigentlich ist es interessant, dass bei diesem Turnier insgesamt nur recht wenige großartige Partien gespielt wurden

Die Partie von Fischer gegen Tal war aber Klasse! Fischer spielte ein Endspiel mit Turm und Läufer gegen Turm und Springer und Bauern an beiden Flügeln des Brettes. Ein winziger Vorteil, der Fischer aber genügte, um die Partie zu gewinnen.

Die Indizien für geheime Absprachen bei diesem Turnier oder zumindest die theoretische Möglichkeit dafür reichten aus, dass die FIDE das Format der Kandidatenturniere änderte. Anstelle eines Rundenturniers wurde das Kandidatenturnier ab 1962 im Ko-Modus gespielt. Obwohl sich diese Turniere dann über mehrere Monate zogen, sollte es über 50 Jahre dauern, bis die FIDE zu einem Rundenturnier zurückkehrte.

Moskau 1974

Das Finale des Kandidatenturniers von 1974 zwischen Anatoly Karpov und Viktor Korchnoi stellte sich als wichtiger heraus, als irgendjemand gedacht hatte. Rückblickend scheint es offensichtlich, dass Fischers Temperament ein Problem bei der Titelverteidigung sein würde, aber damals hatten noch alle gehofft, dass schon irgendwie eine Einigung erzielt werden könnte. Fischer und Karpov haben sich danach auch mehrmals persönlich getroffen, aber nie über einem Schachbrett.

Und so wurde das 24-Spiele-Match zwischen Karpov und Korchnoi rückwirkend de facto zu einer Weltmeisterschaft.

Ein Finale über 24 Partien hat es sowohl vorher als auch nachher nie mehr gegeben.

Kandidatenturnier 1983

Das Kandidatenturnier von 1983 zeigte die gesamten Schwächen des neuen Formats auf. Vor allem das Viertelfinale zwischen Smyslov und Robert Hübner, das nach 14 Partien mit 7:7 Unentschieden stand, wurde buchstäblich am Roulettetisch entschieden. Die Methodik war schon damals suspekt und heute wäre sie absolut absurd.

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Smyslov gewann das Duell gegen Hübner, weil eine Roulettekugel auf Rot landete. Foto: Koen Suyk/Dutch National Archives, CC.

Dann wäre ein junger Spieler namens Garry Kasparov um ein Haar nicht gegen Korchnoi angetreten, weil die Sowjets nicht wollten, dass ihr neues Supertalent gegen den Überläufer Korchnoi in Los Angeles spielt. Das Duell fand nur statt, weil sich Korchnoi bereit erklärte, das Duell in London zu spielen. Am Ende des Turniers spielten dann Kasparov und der bereits 63-jährige Smyslov das Finale in Litauen.

Die beste Partie dieses Turniers wurde aber im Halbfinale zwischen Smyslov und Zoltan Ribli gespielt. Ribli wollte mit der Tarrasch-Verteidigung eigentlich selbst mit einem isolierten d-Bauern spielen, aber Smyslov stellte die Dinge auf den Kopf, endete selbst mit einem isolierten d-Bauern und fegte Ribli vom Brett.

Dieses Kandidatenturnier brachte schließlich mit Kasparov den nächsten Weltmeister hervor. Ein Jahrzehnt später verließ er die FIDE und stürzte damit das Schach nach Fischers Rücktritt erneut ins Chaos.

Groningen 1997

Nachdem Kasparov die FIDE verlassen hatte, versuchten sowohl die FIDE als auch Kasparovs Professional Chess Association (PCA), eigene Kandidatenturniere auszurichten. Beide Verbände ohne großen Erfolg. Die PCA löste sich wieder auf und die FIDE hatte begonnen, die Weltmeisterschaft im Ko-Modus mit einem großen Teilnehmerfeld zu spielen.

Chess.com Candidates Garry Kasparov Anatoly Karpov
Karpov (links) und Kasparov. Foto: Rob Bogaerts/Dutch National Archives, CC.

Als die FIDE dies zum ersten Mal versuchte, kämpften 97 Spieler um einen Platz im Finale gegen den amtierenden Champion Karpov, was dieses Turnier praktisch zu einem Kandidatenturnier machte. Der große Sieger war Viswanathan Anand, der zuvor bereits das Kandidatenturnier der PCA gewonnen hatte.

Wie so oft bei Ko-Turnieren mit nur zwei Partien pro Duell kam es zu großen Überraschungen. In der zweiten Runde konnte der an 39 gesetzte Yasser Seirawan den an Nummer 5 gesetzten Vassily Ivanchuk mit einer fantastischen Partie aus dem Turnier werfen.

Die ganze Veranstaltung war jedoch ein ziemliches Chaos. Da Kasparov nicht spielen wollte, wurde Karpov ins Finale gesetzt. Außerdem endete das Groningen-Turnier am 30. Dezember 1997 und so musste ein erschöpfter Anand nur 3 Tage später in der Schweiz gegen einen ausgeruhten Karpov antreten. Anand konnte sich aber trotzdem ein 3:3 erkämpfen, bevor er Karpov im Schnellschach-Playoff unterlag.

London 2013

Es sollte noch einige Jahre dauern, bis wieder ein traditionelles Kandidatenturnier werden sollte. Erst 2010 hatten sich die verschiedenen Verbände wiedervereinigt und die FIDE kehrte dann zu den traditionellen Kandidatenturnieren mit acht Spielern zurück.

Viswanathan Anand Chess.com Candidates
Vishy Anand. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Das erste dieser neuen Kandidatenturniere im Jahr 2011 wurde weiterhin mit einem Ko-Format gespielt, aber im Gegensatz zur Nachkriegszeit bestand ein Duell jetzt nicht mehr aus 10, sondern nur noch aus 4 Partien. Carlsen, der zu diesem Zeitpunkt bereits die Nummer 1 der Welt war und sich für das Turnier qualifiziert hatte, entschied sich, nicht zu spielen, weil er dachte, in so kurzen Duellen sei die Zufallsquote zu hoch.

Erst im Jahr 2013 kehrte die FIDE zum Rundenformat zurück. Jetzt spielte auch Carlsen mit und führte nach 11 von 14 Runden mit 7.5 Punkten. Nach einer Niederlage in der 12. Runde schlug er aber mit einem glänzenden Sieg in der 13. Runde zurück.

Vor der letzten Runde führten Carlsen und Kramnik gemeinsam mit 1.5 Punkten Vorsprung und beide verloren ihre letzten Partien. Im Gegensatz  zu 1950 wurde der Sieger aber nicht am Roulettetisch, sondern über die Anzahl der Siege bestimmt und Carlsen hatte eine Partie mehr gewonnen.

Jekaterinburg 2020/21

Seit 2013 hat sich das Format des Kandidatenturniers dann nicht mehr geändert. Es bleibt ein Vollrundenturnier mit acht Spielern und 14 Runden und Carlsen blieb Weltmeister, egal wer ihn herausgefordert hat. Die bedeutendste Veränderung im Zyklus seit 2013 war … das Timing.

Dank des Kandidatenturniers war Schach so ziemlich die letzte internationale Sportart, die trotz der beginnenden Coronavirus-Pandemie den offiziellen Spielbetrieb noch nicht eingestellt hatte. Als es dann aber nicht mehr anders ging, wurde das Turnier doch unterbrochen und erst ein Jahr später fortgesetzt.

Die Großmeister Fabiano Caruana und Maxime Vachier-Lagrave hatte also monatelang Zeit, um sich auf ihre Partie vorzubereiten und produzierten dann dieses Meisterwerk.

Gewonnen hat das Turnier aber Ian Nepomniachtchi, der dann bei der WM in Dubai gegen Carlsen unterlag.

Fazit

Es sind jetzt fast 140 Jahre seit New York 1889 und über 70 Jahre seit Budapest 1950 vergangen und heute ist es schwierig, sich Schach ohne ein Kandidatenturnier vorzustellen. Kandidatenturniere haben einige der schönsten Partien aller Zeiten hervorgebracht und jetzt steht das nächste Kandidatenturnier vor der Tür. An wie viele der uns bevorstehenden 56 Partien werden wir uns auch noch in vielen Jahren erinnern? Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden.

Das Kandidatenturnier beginnt am 17. Juni und Chess.com wird das Turnier von der ersten bis zur letzten Sekunde live übertragen! Das dürft Ihr auf keinen Fall verpassen! Alle Informationen über das Turnier findet Ihr in diesem Artikel.

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Nathaniel Green

Nathaniel Green is a staff writer for Chess.com who writes articles, player biographies, Titled Tuesday reports, video scripts, and more. He has been playing chess for about 30 years and resides near Washington, DC, USA.

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