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Die jüngsten Schach Stars

Die jüngsten Schach Stars

Gserper
| 72 | Spaß und Wissenswertes

Die Nachricht, dass der vierjährige Misha Osipov einen Großmeister geschlagen hat verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Viele Leute denken jetzt, dass dies ein absoluter Rekord wäre, und dass der kleine Misha sicher einmal Weltmeister werden wird.

Foto: Chess.com/Maria Emelianova.

Haben wir also das Glück, Zeitzeugen der Entwicklung des größten Schachgenies aller Zeiten zu sein?

Ich wäre da vorsichtig, denn ich habe schon zu viele Geschichten über talentierte Schachspieler gehört, die "zu Großem Geboren waren". Der letzte von denen, der mir gerade einfällt, ist Nicholas Nip. Im März 2008 wurde auf der USCF Webseite eine Story über den jüngsten Titelträger aller Zeiten veröffentlicht. Nicholas erlangte seinen Titel im Alter von 9 Jahren und 11 Monaten und brach damit Hikaru Nakamuras Rekord, der mehr als ein Jahrzehnt Bestand hatte!

Nicholas würde über Nacht berühmt und bekam sogar einen Auftritt in einer der beliebtesten TV-Shows dieser Zeit, "Regis and Kelly"

Die amerikanischen Schachfans waren begeistert, denn die Logik war einfach: Wenn ein neunjähriges Kind Hikarus Rekord bricht, dann haben wir einen Hikaru 2.0! Seht Euch nur die Kommentare zu diesem Artikel an: "In diesem Kind steckt die Zukunft des Schachs",  "Searching for Nicholas Nip," usw.

Der letztere Kommentar bezieht sich übrigends auf den Bobby Fischer Film mit dem Titel "Searching for Bobby Fischer." Ironischerweise haben aber Bobby Fischer und Nicholas Nip wirklich etwas gemeinsam. Beide zogen sich nämlich im Moment ihres größten Triumphs vom Schach zurück. Ja, ihr habt richtig gelesen: Nicholas hat im Alter von 10 Jahren aufgehört Schach zu spielen und laut der USCF Webseite hat er seit 2008 keine einzige gewertete Partie mehr gespielt.

Damit ihr Euch ein Bild über Nicholas Stärke machen könnt, haben wir hier einer der letzten Partien, die er gespielt hat:

Eines der am meisten gehypten Schachwunder aller Zeiten war Ernest Kim. Am Ende der 50er Jahre tauchte sein Name einfach überall auf. Sogar in dieser sowjetischen Dokumentation wurde er gezeigt (ab 0:30).

Und er zierte das Titelbild des wichtigsten Schachmagazins dieser Zeit:

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Im Bildtext steht: "Der Tashkent Pioneer Palace. Der sechsjährige Kategorie 3 Spieler Ernest Kim spielt gegen den Kategorie 2 Spieler Khurshid Muratov. Deren Trainer, G. Shakh-Zade, sieht zu."

Ernest Kim war auch der Star eines Buches, das 1961 Birbrager geschrieben wurde. Hier ist ein Bild des Kapitels: "Fünfjährige Champions".

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Im Bildtext steht: "Es ist nicht einfach gegen den jungen Ernest zu spielen!"

Die Sensationsgier von der Wahrheit zu unterscheiden ist nicht leicht. Die Partien in den Datenbanken schaffen auch keine Klarheit. Urteilt einfach selbst:

Die Partie wurde angeblich 1953 gespielt, aber Ernest Kim wurde erst in diesem Jahr geboren! Und die Art wie Schwarz gespielt hat und ein Remis in vorteilhafter Stellung gegen einen legendären Sowjetischen Großmeister erreichte, ist irgendwie verwirrend, denn ein Kategorie 3 Spieler dieser Zeit ist vergleichbar mit einem Spieler mit einer ELO von 1500 in der heutigen Zeit.

Diese und weitere Ungereimtheiten lassen viele Menschen daran zweifeln, dass Ernest Kim überhaupt jemals existiert hat, oder ob er nur ein Teil der sowjetischen Propagandamaschinerie war. Ich kann euch aber versichern, dass es wirklich einmal einen talentierten Schachspieler names Ernest Kim gegeben hat. Ich habe ihn zwar niemals persönlich gesehen, aber ich kam 20 Jahre später in eben diesen Tashkent Pioneer Palace, der auf dem Titelbild des Schachmagazins gezeigt wurde und ich traf dort einige Spieler die Ernest Kim kannten, gesehen oder sogar mit und gegen ihn gespielt hatten. Der sehr strenge Mamadzhon Mukhitdinov, der sich schon damals dafür einsetzte, dass man den Hype um Ernest Kim stoppen sollte, weil er Angst hatte, dass der frühe Ruhm den Jungen verziehen würde, bestätigte mir nicht nur die Existenz Kims, sondern auch, dass er mit seinen Warnungen recht hatte, denn auch Ernest Kim ist von der Bildfläche verschwunden und niemand weiß, wo er sich heute aufhält.

Es macht übrigends Spass, nach den anderen beiden Jungs, die Birbrager in dem oben erwähnten Buch vorstellte, zu suchen. Den größten Ruhm bekam natürlich Ernest Kim ab, aber der Autor prophezeite auch einem gewissen Gregory Barenboym eine glänzende Zukunft. Und am Ende erwäht Birbrager noch ein 5 jähriges Talent aus der usbekischen Stadt Almalyk, der schon die Notation kennt, was aber keine Überraschung ist, denn schließlich spielt er schon Schach seit er 3 Jahre alt ist. Der Name des Jungen ist Georgy Agzamov.

Die Leistungen der Kids standen im Gegensatz zu dem Hype, der um sie gemacht wurde. Ernest Kim ist von der Bildfläche verschwunden während Gregory Barenboym ein starker CM, mit einer ELO von etwa 2200 wurde. Ich konnte ihn als Teenager einmal besiegen und wahr sehr Stolz auf diesen Sieg. Georgy Agzamov hat aber am meisten erreicht! Er wurde nicht nur der erste Großmeister aus Zentralasien, sondern gewann auch zahllose Turniere und ist bis heute für seinen spezifischen Spielstil bekannt.

Sein Spitzname "клещ" (auf Russisch: mite) hatte die selbe Bedeutung wie der Spitzname von GM Adams: "Spinne". Leider wurde Georgy Agzamov's Schachkarriere durch seinen tragischen Tod beendet.

Kommen wir also wieder zu Misha Osipov.

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Foto: Chess.com/Maria Emelianova.

Einen Rekord hat er sicher aufgestellt: Den Hpye um seine Person. Dank der modernen Massenmedien und dem Internet hat er Ernest Kim hier um Längen geschlagen. Wenn es seine Eltern und Trainer schaffen, ihn vor der Öffentlichkeit abzuschirmen, dann könnte aus ihm wirklich einmal ein guter oder sehr guter Schachspieler werden. Ansonsten wird er nur eine weitere Schach-Sternschnuppe sein, die nach kurzer Zeit verglüht. 

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