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Fabiano Caruana: Was ist schiefgelaufen?

Fabiano Caruana: Was ist schiefgelaufen?

Gserper
| 66 | Schachspieler

Die Schachweltmeisterschaft ist zu Ende und nunmehr ein Teil der Schachgeschichte. Und wie viele der großen Schachveranstaltungen hat sie uns viele Denkanstöße geliefert.

Viele Schachfans fordern jetzt eine Regeländerung, so dass es keine WM mehr gibt, bei der alle Partien mit einem Remis enden. Ich selbst bin über die 12 Remis im klassischen Teil der WM natürlich auch nicht besonders glücklich, aber ich konzentriere mich lieber auf die Partien. Die regelmäßigen Leser dieser Kolumne wissen ja, dass ich Magnus Carlsen für ein Genie halte und somit ist es eigentlich eine "Mission Impossible", ihn zu entthronen. Trotzdem war Fabiano Caruana ein würdiger Gegner, der meiner Meinung nach das Zeug dazu hatte, gegen Magnus zu gewinnen. Was ist also schiefgelaufen?

Wie es sich zeigte, lag ich mit meiner Vorschau auf die Weltmeisterschaft ziemlich richtig. Ich habe richtig vorausgesagt, dass wir keine Berliner Verteidigung sehen werden, da sich Carlsen gegen Caruana nicht nur auf seine Technik verlassen kann und deshalb unausgeglichene Stellungen anstreben wird. Genau das ist passiert. Der Weltmeister versuchte sein Glück mehrmals in der Sweschnikov Variante, die meist zu scharfen und dynamischen Partien führt. Ich glaube, das war eine sehr kluge Entscheidung, die letztendlich den Ausgang der WM mit beeinflusst hat!

Ich will Euch auch erklären, warum:

fabiano caruana

Caruana bedankte sich bei der Abschlussfeier der Weltmeisterschaft bei den Zuschauern. | Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Bei einer WM ist es nicht das Ziel der Eröffnung, von Anfang an eine Gewinnstellung zu erreichen. Das ist einfach unrealistisch! Ich glaube, es war Tigran Petrosian, der gesagt hat, dass er bei der Vorbereitung auf seine WM nicht gesehen hat, wie er mit Weiß zu einem Vorteil, oder mit Schwarz zu einem Ausgleich kommen könnte!

Dies gilt heute, im Computerzeitalter, umso mehr. Wenn man aus der Eröffnung auch nur einen kleinen Vorteil ziehen kann, ist das bereits ein großer Erfolg. Das eigentliche Ziel der Eröffnung ist es also, ein Mittelspiel zu erreichen, das zu seinem Stil passt und im Idealfall dem Gegner nicht liegt. Als ich Schüler an der Botvinnik-Kasparov-Schule war, erzählte Garry Kasparov viele faszinierende Geschichten über die gerade abgeschlossene WM, die ihn zum jüngsten Weltmeister der Geschichte gemacht hat.

Ich erinnere mich noch gut daran, was er über den Zug 15.g4 von Karpov in der entscheidenden Partie gesagt hat:


Kasparov sagte, dass er an Karpovs Gesichtsausdruck und Körpersprache sehen konnte, wie unwohl sich sein Gegner gefühlt hatte, obwohl er sicher noch in seiner Vorbereitung war. Ja, er wusste, dass der Zug gut war. Besonders, weil er sich ja in einer Siegzwang Situation befand. Aber der Zug passte nicht zu Karpovs Sti und er bezahlte letztendlich den Preis für diese "fremdartige" Stellung.

 

Es ist keine große Überraschung, dass Karpov in der kritischen Phase der Partie, statt 23. f5 zu ziehen und einen praktisch unaufhaltsamen Angriff zu haben, nur drei Minuten nachdachte und den prophylaktischen Zug 23.Le3 spielte.

Als praktischer Spieler und sehr kluge Person lernte Karpov aus seinem Fehler und spielte nie wieder Sizilianisch (bzw. 1.e4) gegen Kasparov! Er hat also nie mehr die Eröffnung gespielt, die ihm eine praktische Gewinnstellung gab, weil er erkannte, dass diese Eröffnung einfach nicht zu seinem Stil passt.

Kasparov hat die Diskrepanz zwischen der scharfen sizilianischen Verteidigung und dem positionellen Spielstil von Karpov richtig beschrieben. Deshalb ist es mir bis heute ein Rätsel, warum er selbst den gleichen Fehler begangen hat und sich in seinem WM-Kampf gegen Kramnik für das Berliner Endspiel entschied.

Diese seltsame, unlogische Entscheidung kostete ihm schließlich seinen Titel!

Wie konnte Kasparov das fünfte Berlin in Serie spielen, wenn er sich in einer Siegzwang Situation befand? In dieser trockenen Wüste ist für die Kreativität des berühmten Kasparov einfach kein Platz.

Kommen wir zurück zur letzten WM. Meiner Meinung nach ist Caruana beim Sweschnikov-Sizilianer in eine ähnliche Situation geraten. Seine Engine zeigte ihm einen Vorteil aus der Eröffnung, aber man muss ein Computer sein, um wie ein Computer zu spielen. Ich weiß, das ist eine sehr tiefsinnige Aussage. Leider vergisst man aber heutzutage als Schachspieler, nachdem man Stunden mit seiner Lieblingsengine verbracht hat, dass man kein Computer ist!

Ein Beispiel dafür ist ein Großmeister, der Carlsen und Caruana auf seiner Facebook-Seite heftig kritisiert hat. Er fragte rhetorisch, wie man in der folgenden Stellung nur 24.h3 spielen kann:

Und warum Carlsen in der letzten Partie in dieser absoluten Gewinnstellung seinem Gegner ein Remis angeboten hat, konnte er erst Recht nicht verstehen:

Das ist kein Scherz: Er gab Caruanas 24.h3 wirklich ein doppeltes Fragezeichen und bestand darauf, dass Carlsens Stellung in der 12. Partie nicht nur besser, sondern absolut gewonnen war! Ich wünschte, dieser Großmeister hätte diese "gewonnene Stellung" selbst gegen Caruana gespielt und wir sehen könnten, wie viele Punkte er erzielt hätte.

Leider war aber auch Caruana in gewissem Maße von der Computerauswertung geblendet, denn ansonsten hätte er nicht immer und immer wieder dieselbe Linie gespielt. Als Botvinnik vor dem Spiel Fischer-Karpov um Rat gefragt wurde, sagte der Patriarch: "Fischer sollte konstant eingeschränkt werden!"

Genau dasselbe kann über Carlsen gesagt werden. Ich würde die folgende Partie nicht als "Einschränkung von Carlsen" bezeichnen. Sie ist genau das Gegenteil:

Wie hätte Caruana also gegen Carlsens Sweschnikov gewinnen können? Wenn ich wüsste, wie ich Carlsen schlagen kann, würde ich wahrscheinlich selbst bei der WM spielen. Ich vermute nur, dass Weiß mit dieser Variante des Sweschnikov-Sizilianers mehr Chancen hat, seinen Gegner einzuschränken:

Ok, Giri hat aus dieser Eröffnung nicht besonders viel herausgeholt, aber die modernen Computer finden in fast jede Stellung neue Ideen. Man muss also nur eine Stellung erreichen, die einem liegt!

Seht Euch zum Beispiel diese unglaubliche Idee an, die in dieser Variante schon gespielt wurde:

Ich kann immer noch nicht glauben, dass dieses fantastische Qualitätsopfer funktioniert! Übrigens ist diese Partie ein weiterer Beweis für die sehr schlechte Eröffnungswahl von Kasparov in seinem WM-Kampf gegen Kramnik. In einem Berliner Endspiel kann man einfach nicht so spielen!

Auch vor dem Spiel gegen Carlsen war Fabiano Caruana ein nahezu perfekter Schachspieler mit erstklassigen Eröffnungskenntnissen, hervorragenden Berechnungsfähigkeiten und einer tadellosen Technik. Bei dieser WM hat Caruana wertvolle Erfahrungen gemacht. Bei seiner nächsten WM wird Caruana noch gefährlicher sein!
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