Frank Marshall, Teil 4: St. Petersburg 1914 und die Schachgötter
Wir haben den dritten Teil über Frank Marshall damit beendet, dass er eine Partie nach der anderen gespielt hatte. 1912 hat sich nichts daran geändert. Frank hat für das Schach gelebt und ist überall in Europa, Russland und den USA angetreten. Da es damals noch keine Verkehrsflugzeuge gab, fragte ich mich schon des Öfteren, wie viel Zeit er wohl in Zügen und auf Schiffen verbracht haben muss.
Ich persönlich wäre ja total am Ende, wenn ich das ganze Jahr von Turnier zu Turnier reisen würde!
Marshall via Wikipedia.
1912
San Sebastian
Marshall’s erstes Turnier im Jahre 1912 war in San Sebastian. Er spielte ganz OK, aber ich bin mir sicher, dass er besser abschneiden wollte:
Akiba Rubinstein gewann das Turnier. Spielmann und Nimzowitsch teilten sich den 2. Platz. Tarrasch wurde vor Perlis und Marshall Vierter. Ferner nahmen noch Spieler wie Duras, Teichmann, Schlechter, Leonhardt und Forgacs an diesem Turnier teil.
Bad Pistyan
Hier spielte Marshall zwar besser, aber am Ende hatte Rubinstein das Feld mit 12 Siegen, 4 Remis und nur einer Niederlage demoliert. Spielmann wurde mit 2.5 Punkten Rückstand auf Rubinstein Zweiter und Marshall wurde Dritter. Weitere Teilnehmer waren unter anderem Schlechter, Duras, Teichmann, Alapin und Breyer.
PUZZLE 1
Budapest
Wir teleportieren uns zu einem Turnier in Budapest, Marshall und Schlechter teilten sich den ersten Platz, Duras und Maroczy den Dritten, Teichmann und Vidmar wurden gemeinsam Fünfter.
18th DSB Kongress, Breslau
Marshall belegte bei diesem Turnier für 18 Spieler den 6. Platz. In diesem Turnier spielte Marshall übrigens das berühmte Damenopfer.
Marshall sagte darüber: “Vielleicht habt ihr schon einmal die Geschichte gehört, dass die Zuschauer von dieser Partie so begeistert waren, dass sie mich mit Goldmünzen überschütteten! Ich wurde oft gefragt, ob das wirklich passiert ist. Die Antwort ist ja. Das ist wirklich genau so passiert!"
PUZZLE 2
Biarritz
Marshall gegen Janowski
Von den 9 gespielten Partien gewann Marshall 6 und verlor nur eine.
Hier ist meine Lieblingspartie aus diesem Duell:
1913
New York National
Die Superstars des 14-köpfigen Teilnehmerfeldes waren Capablanca, Marshall und Janowski. Capablanca gewann das Turnier (obwohl er gegen Jaffe eine Partie verlor) einen halben Punkt vor dem ungeschlagenen Marshall.
Obwohl Marshall weiterhin bei jeder sich bietenden Gelegenheit angriff (und manchmal auch, wenn sich keine Gelegenheit bot!) hatte er gelernt, dass man einen Top-Spieler nicht immer mit Opferangriffen besiegen kann. Man benötigt dafür auch Endspielkünste (und Marshall war zu diesem Zeitpunkt bereits sehr gut in Endspielen), solide Eröffnungen und die Fähigkeit, solide zu spielen. In anderen Worten: Er wandelte sich von einem reinen Angriffsspieler zu einem Allrounder, der zwar Angriffsspiel bevorzugte, aber die Realität nicht verkannte und auch auf die Bremse treten konnte.
Havanna
Acht Spieler spielten eine Doppelrunde und die "Big Three" waren wieder einmal Capablanca, Marshall und Janowski. Marshall verlor nur eine Partie gegen Janowski und gewann das Turnier vor Capablanca, der zwei Partien verlor (eine gegen Janowski und die andere gegen Marshall).
Die folgende Partie zeigt auf, dass Marshall auch mit Geduld und einer guten Verteidigung gewinnen konnte. Ja, "Capa" hätte diese Partie gewinnen können, aber das war sicher nicht die erste und auch nicht die letzte Gewinnstellung im Schach, bei der sich wegen einer soliden Verteidigung des Gegenübers das Blatt wendete.
New York
Marshall gegen Oldrich Duras
Marshall gewann mit 3:0. Das ist wirklich ein beeindruckendes Ergebnis, denn Duras war ein extrem starker Spieler.
New York Progressive
4 Spieler, 12 Partien: Frank Marshall, Oldrich Duras, Oscar Chajes und Charles Jaffe. Marshall gewann 5 Partien und verlor nur eine.
1914
St. Petersburg Vorrunde
Dies war ein extrem wichtiges Turnier und nur die TOP 5 schafften es ins Finale. Isidor Gunsberg und Joseph Blackburne hatten keine Chance und somit blieben Janowski, Ossip Bernstein, Marshall, Rubinstein, Capablanca, Tarrasch, Lasker, Nimzowitsch und Alekhine im Rennen. Dass Janowski diesem Feld nicht gewachsen war, war keine große Überraschung, aber Bernstein spielte besser als erwartet und wurde geteilter Sechster (was zwar eine beachtliche Leistung war, ihn aber trotzdem nicht für das Finale qualifizierte).
Nimzowitsch wurde nur Achter und schied damit genauso aus wie der Favorit Rubinstein, der nach Niederlagen gegen Lasker und Alekhine nur Sechster wurde.
Capablanca präsentierte sich in Bestform und beendete die Vorrunde mit 1.5 Punkten Vorsprung vor den zweitplatzierten Lasker und Tarrasch. Marshall überraschte nicht wenige Schachfans mit seinem vierten Platz. Er verlor dabei nur eine einzige Partie. Gegen wen? Natürlich gegen seine persönliche Nemesis Alekhine, der Fünfter wurde.
Ein Wort zu Lasker: Er hatte seit 5 Jahren (!) an keinem Turnier mehr teilgenommen und war damit der große Unbekannte. Der geteilte zweite Platz war deshalb absolut OK.
Marshall’s Partie gegen Bernstein stand auf Messers Schneide.
St. Petersburg Finale
Da die Punkte der Vorrunde ins Finale mitgenommen wurden, war Capablanca der klare Favorit. Emanuel Lasker war jetzt allerdings "aufgewärmt" und erspielte sich im Finale fantastische 7 Punkte (6 Siege - 2 Remis - keine Niederlage). Capablanca erzielte 5 Punkte, Alekhine 4 und Tarrasch und Marshall nur jeweils 2. Damit gewann Lasker das Turnier mit einem halben Punkt Vorsprung vor Capablanca.
Laut Marshall hat der russische Zar jedem der fünf Finalisten den Titel "Großmeister des Schachspiels" verliehen. "
Ich möchte ein paar Absätze aus Marshall’s Buch, “Marshall’s Best Games of Chess” mit Euch teilen. Es geht darum, was Marshall nach dem St. Petersburger Finale gemacht hat:
“Nachdem ich einige Showpartien in Deutschland und Russland gespielt hatte, bin ich nach Mannheim gereist. Das dortige Turnier war etwa zur Hälfte beendet, als der 1. Weltkrieg ausbrach. Ich war überrascht, wie schnell der Ort voller Soldaten war. Sie schienen förmlich aus dem Boden zu wachsen. Der einzige Franzose, Janowksi, und die 3 russischen Teilnehmer Alekhine, Flamberg und Bogoljubow wurden sofort verhaftet. Die deutschen Spieler wie Krüger, Carls und John schlossen sich der Armee an. Die beiden Söhne von Dr. Tarrasch wurden an die Front geschickt und die übrigen Spieler wurden aufgefordert, sofort abzureisen."
“Ich machte mich auf den Weg zur holländischen Grenze und erreichte nach einigen Abenteuern Amsterdam. Normalerweise ist das eine siebenstündige Reise aber ich benötigte 39 Stunden dafür. Irgendwo an der Grenze habe ich meinen Koffer mit all meinen Habseligkeiten und den Geschenken von St. Petersburg und anderen Turnieren verloren. Nach einigen Tagen in Paris und London erhielt ich eine Sonderunterkunft in S.S. Rochambeau und kehrte nach Hause zurück.
“Zu meinem großen Erstaunen kamen 5 Jahre später meine Koffer mit unversehrtem Inhalt in New York an!"
DSB-19 Kongress, Mannheim
Nach St. Petersburg war es klar, dass Lasker immer noch der beste Spieler der war und Capablanca noch etwas schwächer war. Der drittbeste Spieler war Alekhine. Und genau in dieser Reihenfolge wurden sie auch Weltmeister. Capablanca übernahm den Titel 1921 von einem alterndem Lasker und verlor diesen dann 1927 an Alekhine.
Marshall war nun in der Blüte seiner Jahre und konnte zwar mit diesen 3 Schachgöttern nicht mithalten, aber gewann gegen alle anderen. Sein hervorragendes Ergebnis von St. Petersburg hatte einmal mehr bewiesen, dass er in der Weltrangliste irgendwo zwischen 4 und 8 steht. In Mannheim trat er diesen Beweis erneut an. Alekhine dominierte das Turnier und gewann mit 9.5 von 11 möglichen Punkten vor den punktgleichen Vidmar und Spielmann. Janowski, Marshall, Reti und Breyer teilten sich den 4. Platz. Weitere Spieler bei diesem Turnier waren: Bogoljubov, Tarrasch, Duras, Tartakower, Mieses, usw.
PUZZLE 3
Nächste Woche kommt der 5. und letzte Teil über Marshall.