Ich habe keine Ahnung, warum ich gewonnen habe
Das Chess.com Mitglied ostria schrieb:
Könntest Du dir bitte eine meiner Partien ansehen. Ich hab sie zwar gewonnen, aber ich habe keinen blassen Schimmer, warum! Ich habe eigentlich nur einfache Züge gemacht und bin mir sicher, dass wir beide viele Fehler gemacht haben, aber was war der finale Fehler meines Gegners?
Silman:
Okay, sehen wir uns deine, "I weiß nicht warum ich gewonnen habe!" Partie mal an.
Durch den frühen Läuferausflug auf g5 haben wir jetzt einen isolierten Bauern auf der d-Linie. Normalerweise will Weiß den Königsflügel angreifen und den Läufer auf der b1-h7 oder der c1-h6 Diagonale einsetzen. Der Bauer auf d4 kann schwach werden aber im moment ist er sogar stark, denn er kontrolliert die Felder c5 und e5 (das Feld e5 wird oft ein wichtiger Stützpunk für einen weißen Springer).
Wenn wir uns die Stellung aus der Sicht von Schwarz ansehen, ist die Idee so viele Leichtfiguren wie möglich abzutauschen (damit der weiße Angriff auf dem Königsflügel verpufft) und dann den isolierten d-Bauern ins Visier zu nehmen.
Natürlich kann man den d-Bauern aber auch anderweitig benutzen. Sehen wir uns einfach mal diese Partie von Cabablanca an, in der es zuerst aussieht, als wenn Weiß einen Angriff starten würde, aber sich eigentlich einfach nur einen grandiosen positionellen Vorteil erspielt!
Das komische an dieser Partie ist, dass Capablanca nach der Partie zu Alekhine sagte: "Ich habe gewonnen, aber ich hab keinen Schimmer, warum!"
Kann es also sein, dass Herr Ostria die Wiedergeburt von Capablanca ist?
Foto: Wikipedia.
Okay, sehen wir also Ostria’s Partie weiter an:
Obwohl beide Seite Fehler gemacht haben, hat Schwarz die entscheidenden gemacht. Ich muss aber dazusagen, dass nur wenige Amateure wie ostria spielen und die meisten seiner Gegner bekommen Probleme, wenn ostria die Möglichkeit hat, sein magisches, positionelles Schach zu spielen.
Für alle die denken, dass es sehr risikoreich ist, mit einem Freibauern loszulaufen, muss ich sagen: Ja, das kann sein. Aber es wurden auch schon viele Großmeisterpartien mit ostria´s Strategie gewonnen. Hier ist ein ganz neues Beispiel dafür:
Hier habe ich noch ein Beispiel, das das positionelle Verständnis von ostria aufzeigt:
Weiß hat fast die ganze Partie (fast wie in der Hauptpartie dieses Artikels) nur positionell gespielt. Er hat zuerst den Springer auf f6 (den Beschützer des f4 Feldes) geschlagen, dann seinen eigenen Springer auf d5 platziert (Schwarz ist darauf in Panik geraten und hat den Springer gegen seinen weißfeldrigen Läufer getauscht) und dann den schönen Zug c2-c3 gefunden (welcher dem schwarzen Springer die Felder b4 und d4 nimmt). Schwarz (der keine Ahnung hatte, was da passierte) gab Weiß noch das Feld e4 und daraufhin brachte Weiß seinen Springer (über b3-d2-c4 und e3) auf d5.
WARUM IST OSTRIA DANN NICHT BESSER BEWERTET?
Wenn man sich seine anderen Partien ansieht, merkt man, dass er immer wieder Figuren oder Bauern hängen lässt und wenn der Gegner Taktiken aus dem Himmel zaubert oder unkonventionell spielt, klappt er oft zusammen. Wenn er es schafft seine Einsteller zu vermeiden, an seinen taktischen Fähigkeiten arbeitet und sein Stil noch dynamischer wird, wird er nur schwer zu schlagen sein.
Da wir gerade von Taktiken aus dem Himmel zaubern sprechen: Immer wenn ich den Namen shrinkdavido lese, muss ich an Sharknado denken!
Die Haie, die auf diesem Bild vom Himmel fallen, gehen mir einfach nicht aus dem Kopf!
Eines noch: Capablanca hat (meines Wissens nach) nie den Satz gesagt: "Ich habe gewonnen, aber ich hab keinen Schimmer, warum!" - Den Satz hab ich nur erfunden um den Artikel spannender zu machen