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Mein erstes Schachturnier

Mein erstes Schachturnier

louisathomas
| 230 | Für Anfänger

Ich habe mich wochenlang auf mein erstes Schachturnier vorbereitet.

Jeden Abend habe ich eine Schnellschach Partie gespiel -- und danach analysiert. Ich bin all meine Züge nocheinmal durchgegangen, habe gesucht, wo ich Taktiken oder bessere Züge übersehen oder Fehler gemacht habe. Jeden Nachmittag nahm ich mir etwas Zeit für Endspielübungen und Taktikaufgaben habe ich in jeder freien Minute gelöst. Ich habe sogar gelernt wie man mit einem Läufer und einem Springer Matt setzt, denn man kann ja nie wissen!

Als das Turnier dann endlich losging fühlte ich mich bestens Vorbereitet. Mein Schnellschach Rating auf Chess.com ist auf fast 1400 gestiegen -- keine Zahl auf die man stolz sein kann, das weiß ich, aber doch immerhin eine Basis auf der man aufbauen kann. 2 Tage vor dem Turnier habe ich den Elometer Test gemacht. Das ist eine Studie der Universität von Düsseldorf, bei der Schachspieler 76 Aufgaben lösen sollen und daraus errechnet sich dann eine Stärke der Spieler. Einige der Puzzle waren sehr leicht und andere wirklich komplex. In einigen Stellungen ist taktisches Geschick gefragt und in anderen ein positioneller Überblick und wieder andere erschienen mir einfach unlösbar. Die meisten haben jedoch wie die Trainigsaufgaben ausgesehen die ich schon seit Wochen auf Chess.com mache. Es hat Spass gemacht. Der Elometer hat mir dann bescheinigt dass ich wie ein Spieler mit 1876 ELO spiele, und mit einer 95%igen Wahrscheinlichkeit eine ELO zwischen 1750 und 2003 habe.

Nicht schlecht, dachte ich mir. Eigentlich sogar richtig gut!

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Trotzdem war ich am nächsten Morgen nervös. Wahnsinnig nervös. Mein Magen wanderte bis zu meinem Hals hoch. Dies hatte vielleicht auch damit zu tun, dass ich seit über 10 Jahren jede Art von Wettbewerb vermieden habe, denn ich habe schon als kleines Mädchen festgestellt, dass ich schnell Über-Ehrgeizig werden kann. Vielleicht lag es auch daran, dass der Eingangsbereich zum Turniersaal des Boylston Chess Clubs in Cambridge, Massachusetts, voller Kinder war.

Schach ist Strategie; Schach ist ein Krieg; aber Schach ist eben auch ein Kinderspiel. Die Geschichte des Schachs ist die Geschichte der Wunderkinder, der winzigen Sieger mit baumelnden Füßen und der jugendlichen Großmeister. Ich weiß das. Jeder weiß das. Wenn man zu einem Turnier fährt erwartet man trotzdem Ruhe und Seriosität und keine Horde umhertollender, chipsessender und über Tische kletternder Kinder. Es waren auch einige Erwachsene anwesend aber ich stellte schnell fest, dass die meisten lediglich die Eltern der Kinder waren und nur sehr wenige am Turnier teilnahmen.

Es waren auch fast ausnahmslos Jungs. Ich habe im ganzen Turniersaal nur ein Mädchen gesehen -- die hatte aber eines der besten Ratings von allen. Kurz vor der ersten Runde kam eine Frau mittleren Alters zu mir. Sie trug einen Schal der mit kleinen Schachfiguren bedruckt war; ihre Handtasche war im Schachbrett-Design gehalten. Sie wusste auch wer ich bin und sagte, dass sie selbst nicht mitspielen würde, aber dass sie sich sehr darüber freuen würde das ich mitspiele. "Es ist wirklich toll, eine Frau hier zu sehen" fügte sie hinzu.

Wir gingen in den großen, gut gefüllten Turniersaal. Die Bretter waren schon aufgebaut. Mir gegenüber saß ein kleines Kind, vielleicht 9 oder 10 Jahre alt, mit großen Augen und strohblonden Haaren. Er musste sich auf seine Beine setzen um über das Brett sehen zu können.

Ich hatte Schwarz und spielte Sizilianisch und ich bakam schon in der Eröffnung Probleme. Er eroberte das Zentrum und als ich einmal vergaß auf die Uhr zu drücken sah er mir zuerst in die Augen und blickte darauf demonstrativ auf die Schachuhr.

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Plötzlich verlor ich ohne wirklichen Grund einen Bauern. Ich war so besorgt über meine Stellung, meinen nutzlosen weißfeldrigen Läufer, meine unkoordinierten Figuren und meine immer größer werdenden Schweißflecken, dass ich einfach seine plumpe Drohung nicht gesehen hatte. Dann war auf einmal die weiße Dame auf g4. Als ich meinen Läufer von f6 zog opferte er schamlos seinen Läufer auf h7. Damit ich auch irgendetwas hatte schlug ich mit meinen fianchettierten Damenläufer einen Bauern auf g2 -- nur um mitansehen zu müssen, dass sein Turm meinen Läufer schlug - seine Dame meinem König immer näher kam - und dass meine Stellung hoffnungslos verloren war. Ich legte meinen König um und er streckte mir sofort seine Hand entgegen. Ich fragte ihn nach seiner ELO und er antwortete "533".

Ich dachte, ich hab ihn falsch verstanden.

Dieses Kind gewann an diesem Tag jede Partie. Ich versuchte mir einzureden, dass dieser Junge wohl gerade einen Entwicklungssprung machte, wie ihn alle Kinder mal machen. Die Phase des Lebens bei der sie etwas dazulernen wenn sie nur ihre Frühstücksflocken essen.

Mein nächster Gegner war dann wieder ein Kind. Wie auch ich, spielte er sein erstes Turnier überhaupt, und das konnte man auch sehen. Er zappelte herum, stand nach jedem Zug auf, zuckte mit den Schultern als ich einen Bauern in eine Dame umwandeln konnte und ein Matt drohte. Über den Sieg konnte ich mich garnicht wirklich freuen, denn ich war zu sehr gebeutelt.

In meiner dritten Partie spielte ich gegen einen Mann mittleren Alters, der eine ELO von etwa 1200 hatte. Er brachte sein eigenes Sitzkissen mit und platzierte es sorgfältig auf seinen Stuhl, bevor er sich setzte. Ich starrte ihn einen Moment lang an. Er war dürr, hatte eine Glatze aber freundliche Augen. Ich hatte ja noch nie gegen jemanden gespielt der mir gegenüber saß. Ich war es gewöhnt in einem Bildschirm und nicht in Gesichter zu sehen.

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Es war eine chaotische Katalanische Eröffnung. Ich habe einen Bauern verloren - erneut ohne Grund - und erreichte trotzdem ein Endspiel mit guten Remischancen. Da ich aber nicht an mich selbst glaubte hatte ich eigentlich schon verloren. Mein Zug a5 hatte dann etwas masochistisches an sich. Er sah kurz auf und seine Gesichtszüge bildeten irgendwie ein großes Fragezeichen. Ein paar Züge später gab ich auf.

Ein paar Wochen später wurde dann meine ELO veröffentlicht: 492. Ich versuchte Shredder, das Schachprogramm das ich benutze auf Stärke 500 zu stellen, um mir selbst zu beweisen dass ich stärker als 500 spiele, aber Shredder kann man nicht unter 800 einstellen.

Schach war für mich immer schon meine tägliche Portion Demut. Das ist ein Teil des Schachspiels. Aber jetzt fühlte ich mich bloßgestellt. Ich wollte schon aufhören Schach zu spielen. Ich bin zu alt, zu langsam und zu sehr gedemütigt worden. Ich verschwende meine Zeit. Für was spiele ich eigentlich?  Es war ja nicht einmal meine ELO die mich beschämte. Aber ich führte die Diskrepanz zwischen meinen Erwartungen und meinen Ergebnissen darauf zurück, dass ich jemand sein wollte, der ich garnicht bin.

Einen Monat später war ich zurück. Irgendetwas in mir wollte, dass ich weitermache. Auf der anderen Seite des Tisches saß ein weiteres Kind. Es sah Chinesisch aus und hatte eine ELO von 1560. "Wie lange spielst Du schon Schach," fragte er mich vor der Partie. Ich antwortete ihm, dass ich seit etwas mehr als einem Jahr spiele und dass dies mein zweites Turnier ist. Er nickte nachdenkend und antwortete dann höflich: "Ich hab eine viel bessere ELO als Du... aber ich hatte auch einmal 500."

Ich hatte Schwarz und spielte Slavisch, auch wenn ich dachte, dass es Französisch wäre.  Die Probleme waren hingegen die üblichen: Einen eingesperrten weißfeldrigen Läufer und ein Bauernverlust ohne Not. Irgendwie konnte ich mich aber zusammenreißen und als wir in einem Bauernendspiel waren, war ich zwar ganz sicher nicht am gewinnen aber zumindest auch nicht am verlieren. Der Druck stieg mit jeder Sekunde, die auf der Uhr verstrich. Ab und zu tauchten irgendwelche chinesischen Kinder hinter meinem Rücken auf und sahen mir über die Schulter.

Irgendwann konnte ich meine Stellung dann nicht mehr halten, verlor einen Blockadebauern und somit die Partie. "Du hast echt gut gespielt" sagte das Kind (sein Name war Andrew Su) zu mir. "Du hättest gewinnen können." Er baute die Stellung auf in der ich den Fehler gemacht hatte und sagte: "Hier a5 - jeder andere Zug verliert". Und dann erklärte er mir geduldig alle möglichen Varianten in der Stellung. Ich musste mich sehr beherrschen ihn nicht zu umarmen.

Ich behielt mir die Partieformulare und wollte die Partien am Computer nachspielen. Ich wollte eine Datei haben, in der all meine Turnierpartien gespeichert sind, um meine Verbesserungen dokumentiert zu haben. Als ich die Partie aber dann eingeben wollte musste ich feststellen, dass ich die Dame auf Felder zog, auf die sie garnicht ziehen durfte und dass ich Schachs gab, die gar keine Schachs waren. Dass ich nicht notiert hatte mit welchem der beiden Türme ich gezogen hatte und einmal stand auf dem Zettel sogar Dx33 statt Dxc3. Und dann zog ich meinen König noch von d7 auf h6 - ein einem Zug!

Ich hab dieses Partie gewonnen! Mein zweiter Sieg! Aber wie? Ich starre auf das Partieformular und ich habe keine Ahnung!


nullLouisa Thomas ist eine amerikanische Schriftstellerin und Autorin von 2 Büchern (eines davon ist: The Extraordinary Life of Mrs. Adams (Das außergewöhnliche Leben der Frau Adams)). Sie schreibt auch regelmäßig Beiträge auf NewYorker.com, und arbeitete früher als Schriftstellerin und Editorin bei  Grantland.com. Außerdem ist sie "besessen" von Tennis und Schach. Ihr könnt ihr auf Twitter folgen.

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