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Meine verrückte Idee, um die Anzahl der Remis zu reduzieren
GM Serper weighs in on how to make chess more exciting.

Meine verrückte Idee, um die Anzahl der Remis zu reduzieren

Gserper
| 341 | Spaß und Wissenswertes

Der letzte Artikel von Vladimir Kramnik hat mich ziemlich fasziniert.

Wir allen hatten ja schon einmal seltsame "was wäre, wenn..." Fragen, wie zum Beispiel "was wäre, wenn ich fliegen könnte?" oder "was wäre, wenn es keine Schwerkraft gäbe?"

Dank Kramnik und AlphaZero kennen wir nun die Antwort auf die Frage: "Was wäre, wenn es im Schach keine Rochade geben würde?"

kramnik no-castle chess

Hier ist eine Beispielpartie mit Anmerkungen von Kramnik:

Kramnik weist darauf hin, dass Züge wie h2-h4 und a2-a4 in den meisten Partien vorkamen und der Zug Ke1-f1 genauso häufig gespielt wurde, wie im normalen Schach die Rochade. Außerdem weiß Kramnik von was er redet, denn in einer seiner letzten Partien anscheinend schon im "Keine-Rochade-Schach-Modus", auch wenn sein Gegner sich dessen nicht bewusst war:

Die Idee des "Keine-Rochade-Schachs" ist experimentell sehr interessant, da sie hilft, die Natur des Schachs besser zu verstehen, aber ich sehe keine praktische Zukunft für sie. Seht Euch nur die Einleitung von Kramniks Artikel an:

Bei Superturnieren werden immer weniger Partien gewonnen und auch die Anzahl der Partien, die ich als "kreativ" bezeichnen würde, geht zurück. So wurde zum Beispiel bei der Weltmeisterschaft 2018 zwischen Magnus Carlsen und Fabiano Caruana keine einzige Partie gewonnen.

Offensichtlich spricht er nur von Schach auf höchstem Niveau. Die überwiegende Mehrheit der Schachspieler hat kein solches Problem und daher ist es sehr fraglich, ob man die Schachregeln ändern sollte, nur um die Partien der Top-Spieler aufregender zu machen, wenn doch 99.99% aller Spieler von diesem Problem nicht betroffen sind.

Außerdem würde eine solch radikale Entscheidung Tausende von klassischen Partien, die wir alle kennen und lieben, nutzlos machen. Stellt Euch nur vor, Ihr zeigt Euren Kindern die Partie von Morphy gegen Karl von Braunschweig und Graf Isoard und Eure Kinder fragen Euch, warum Paul Morphy seinen König plötzlich zwei Felder weit gezogen hat und wie der Turm über den König springen konnte!

Die Halb-Lösung, das Rochieren nur in Superturnieren abzuschaffen, ist auch nicht gut, denn Tausende von aufstrebenden Spielern versuchen, die Geheimnisse des Schachs aus den Partien der Super-Großmeister zu erlernen. Und da wäre es schon sehr seltsam, wenn die Top-Großmeister ein anderes Spiel als der Rest der Welt spielen würden.

chess clock

Ich habe eine andere Idee, aber sie ist so seltsam, dass mich die meisten von Euch sicher für verrückt halten werden. Lasst mich mit einer kurzen historischen Einführung beginnen.

Als im Londoner Super-Turnier von 1883 Schachuhren eingeführt wurden, sorgten diese zunächst für viel Verwirrung. Mit der Zeit wurden sie aber bei allen Turnieren zu einer Normalität. Jahrzehntelang wurden dann alle offiziellen Turniere mit der sogenannten Capablanca-Zeit gespielt: 2,5 Stunden für 40 Züge und danach wurde die Partie unterbrochen.

Seit Capablancas Zeiten hat sich die Welt aber dramatisch verändert und heute spielen wir mit einer viel kürzeren Bedenkzeit und Hängepartien wurden ganz abgeschafft. Wie Ihr seht, war in den letzten 100 Jahren, trotz allen Fortschritten in der Schachtheorie, die Veränderung der Bedenkzeit die einzige echte Veränderung im Schach. Die Spielregeln selbst haben sich in den letzten 400 Jahren nicht geändert.

Wir sollten aber nicht vergessen, dass Zeit nicht die einzige Dimension im Schach ist. Eine weitere offensichtliche Dimension ist die Anzahl der Züge. Wir können sagen "Oh, das war eine so lange Partie. Sie dauerte fast fünf Stunden". Wir können aber genauso gut sagen, dass eine Partie über mehr als 70 Züge ging.

Im Turnierschach gibt es aber neben Zeitbeschränkungen auch Zugbeschränkungen (die 50-Züge-Regel). Was würde also passieren, wenn wir diese Zugbeschränkungen geringfügig verändern würden?

Hier ist mein Vorschlag. Eine Partie sollte nur noch in den folgenden drei Fällen mit einem Remis enden:

1. Ungenügendes Material

Das ist ziemlich offensichtlich. Wenn nur noch zwei Könige auf dem Brett sind oder ein König gegen einen König und Springer oder König und Läufer spielt, endet die Partie automatisch mit einem Remis:

2. Patt

Auch das ist ein offensichtliches Ende einer Partie:

3. Dauerschach

Also wenn ein König den sich wiederholenden Schach seines Gegners nicht entkommen kann:

 

Das wären die einzigen drei Szenarien, nach denen eine Partie mit einem Remis endet. Ein viertes Szenario, nachdem eine Partie mit einem Remis endet, gibt es nicht. Auch eine dreifache Stellungswiederholung wäre kein Remis, wenn es sich dabei nicht um ein Dauerschach handelt. Remisgebote wären natürlich, genau wie beim Fußball, Basketball oder so ziemlich jeder anderen Sportart auch, verboten.

Jetzt ist es an der Zeit, Euch die Idee mit den Zugbeschränkungen zu erklären. Nehmen wir zum Beispiel ein 10 Runden Turnier. Hier erhält jeder Spieler 800 Züge, um das Turnier zu beenden. Das wären 80 Züge pro Partie und damit doppelt so viele Züge, wie eine Durchschnittspartie dauert. Nach jeder Partie werden die gespielten Züge addiert. Sobald ein Spieler seine 800 Züge verbraucht hat, ist das Turnier für ihn vorbei. Wenn ein Spieler also nach der 8. Runde seine 800 Züge gespielt hat, darf er zu den letzten beiden Runden nicht mehr antreten und seine Gegner haben automatisch gewonnen.

Um die Gründe für diese Regel zu veranschaulichen, werfen wir einen Blick auf eine Partie der ersten Runde des letzten Tata Steel-Turniers.

Es war, besonders für eine Schnellschachpartie, eine sehr hochwertige Partie. Leider war es auch ein sehr langweiliges Ende. Nun wollen wir uns ansehen, was passiert wäre, wenn die Zugbeschränkungsregel angewendet worden wäre. Nach einem Springertausch haben wir eine absolut tote Stellung.

Es ist nicht nur eine absolut tote Stellung. Es ist die Königin aller toten Stellungen. Es ist die Atacama-Wüste des Schachs!

Atacama Desert, Chile.
Atacama Wüste, Chile.

Aber wie können die Spieler hier remis spielen? Wenn ein Remisgebot nicht zulässig ist und sowohl eine dreifache Stellungswiederholung nicht zu einem Remis führt als auch die 50-Zug-Regeln nicht existiert, wie kann dann ein Remis erzielt werden? Die Antwort ist: Es geht nicht!

Also wird einer der Spieler aufgeben oder sie werden einfach weiterspielen und sich der 800-Züge-Marke nähern. Diese Stellung kann also nicht nur eine Partie, sondern auch gleich ein ganzes Turnier ruinieren!

Folglich würden starke Spieler eine solche Stellung frühzeitig antizipieren und sie vermeiden, bevor sie tatsächlich auf dem Brett erscheint. Weiß könnte zum Beispiel den Turmtausch leicht vermeiden, ohne seine Stellung zu verschlechtern:

Und Schwarz hätte den Damentausch vermeiden können, ohne Schaden zu nehmen:

Mein Punkt ist, dass wenn beide Spieler wissen, dass Abtäusche zu einer Atacama Stellung führen, werden sie Abtäusche vermeiden, was die Partie nur interessanter macht. Auf der anderen Seite werden Spieler lernen, wie man in solchen Stellungen weiter und sogar auf Gewinn spielt.

Weltmeister Magnus Carlsen zeigt hier, wie man das macht:

Für Spieler wie Carlsen, die Remis verabscheuen und bis zum letzten Bauern spielen, sollte das Zuglimit überhaupt kein Problem sein - aber für diejenigen, die nach Abtäuschen als Ausrede für ein schnelles Remis suchen, wird dies ein Problem!

Einige Leute werden sicher einwenden, dass ein Zuglimit den logischen Pfad des Spiels ruinieren kann. Das ist absolut richtig. Aber hat die Einführung der Bedenkzeit nicht Tausende von gut gespielten Partien zerstört? Wir gewöhnen uns einfach daran und deshalb akzeptieren wir heute das Zeitlimit als einen natürlichen Teil des Spiels.

Werfen wir einen Blick auf die folgende Stellung. Könnt Ihr das Matt in 3 finden?

Hat Reshevsky, einer der besten Spieler der Welt, das Matt in 3 gefunden, oder in vier oder fünft Zügen gewonnen? Tja, seht Euch an, was in der Partie passiert ist:

Ja, Reshevsky war so sehr in Zeitnot, dass er einfach seine Dame eingestellt hat! Ich kann Euch zu 100% versichern, dass die Partie ohne eine Einschränkung der Bedenkzeit einen anderen Ausgang genommen hätte!

Wenn wir also akzeptieren, dass ein Zeitlimit die Logik des Spiels erheblich verändern kann, warum können wir dann nicht akzeptieren, dass ein Zuglimit dasselbe bewirken kann?

Für alle von Euch, die diese Idee doof finden, habe ich jetzt eine schlechte Nachricht. Wir haben das Zuglimit nämlich bereits akzeptiert! Ihr glaubt mir nicht? Dann seht Euch die folgenden Partien an, die von starken Großmeistern gespielt wurden.

Was war hier los? Warum stimmte Yevseev hier zwei Züge vor dem Matt einem Remis zu?

Warum war das ein Remis? Hatte der neue Stern am russischen Schachhimmel, IM Volodar Murzin, einen Moment lang vergessen wie Türme ziehen und deshalb nicht gesehen, dass er den schwarzen Turm schlagen kann? 

Ist Nguyen ein so großer Fan von Vachier-Lagrave, dass er ihm lieber ein Remis bot, als ihn in 2 Zügen Matt zu setzen?

Die Antwort ist bei allen 3 Partien dieselbe: Die Spieler mit der besseren Stellung scheiterten an der 50-Züge-Regel.

Wenn wir also das Zuglimit schon akzeptiert haben, warum verändern wir es dann nicht einfach? Eine solche Änderung würde das Schach auf dem Top-Level unterhaltsamer machen und anders als andere Vorschläge (wie zum Beispiel die von Kramnik) die eigentlichen Schachregeln nicht verändern!

Mich würde Eure Meinung zu diesem Vorschlag wirklich interessieren. Schreibt sie doch einfach ins Kommentarfeld.

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