Warum Du gegen schwächere Spieler verlierst
Asmara the Cat schrieb:
Ich habe ein Problem und ich hoffe Du kannst mir helfen. Mein Problem ist, dass ich nicht weiß, wie ich gegen schwächere Spieler gewinnen kann (ok, ich bin jetzt selbst nicht so gut, aber meine Gegner sind halt noch schlechter). Ich habe schon seit mehreren Jahren eine ELO von 1500-1580. In Schachturnieren schlage ich regelmäßig Spieler die zwischen 1700 und 1800 haben (gestern habe ich gegen einen Spieler mit 1822 gewonnen), und einmal habe ich gegen einen Spieler mit 2001 ein Remis geschafft. Aber auf chess.com komme ich im 10 Minuten Blitz nicht über eine Zahl von 1400 hinaus. Ich verliere immer wieder gegen Spieler die blind angreifen und keine Ahnung von "Capablancas Grundsätzen" haben. Spieler, die angreifen ohne rochiert zu haben, und Eröffnungen Spielen, die in keinem Buch zu finden sind.
Natürlich spiele ich oft zu Zeiten auf chess.com, zu denen ich eigentlich schon schlafen sollte, und im Internet strenge ich mich nicht so an, wie bei echten Turnieren, aber auch in echten Turnieren verliere ich gegen diese Spieler, die diesen "Internet-Stil" spielen (gegen einen von diesen Spielern hab ich im selben Turnier verloren, bei dem ich den 1822 Spieler geschlagen habe). Ich denke, ich sollte gegen solche Spieler gewinnen, weil ich an meinem Schach wirklich arbeite und Schachbücher lese (mein Lieblingsbuch ist Simple Chess von Michael Stean und dieses Buch hat mir schon zu ruhmreichen Siegen verholfen), aber Bücher erklären immer nur wie man gegen gute Spieler gewinnt, und nicht wir man Gegner schlägt, die keine logischen Züge machen.
Ein ältere Spieler (93 Jahre alt) sagte mir einmal: "Ein schlechter Zug Deines Gegners wird zu einem guten Zug, wenn Du keine Widerlegung findest." Ist die einzige Lösung, dass ich mir mehr Zeit nehmen muss, um die Stellung zu verstehen? Weil einfach nur zu denken: "Oh mann, spielt der schlecht, den schlag ich ja locker" ist sicher nicht die Lösung.
Da mich diese schlechten Spieler schlagen, müssen die ja irgendetwa wissen, was ich nicht weiß. Aber wenn ich nach dem gehe, was in den Schachbüchern steht, sollte ich eigentlich bessere Resultate gegen diese Spieler haben, und ich verstehe einfach nicht, warum ich diese Spieler nicht schlagen kann.
Ich schick Dir noch ein Foto von mir mit. Asmara the Cat (Asmara die Katze).
JS: "Asmara the Cat" ist eine Französin die in Paris lebt. Ihr echter Name is Sonia. Da ich aber Katzen liebe (Katzen sind die besten Geschöpfe auf der Erde... viel besser als Menschen) benutz ich weiterhin ihren Chess.com Namen.
Schauen wir uns also ihre Spiele an um rauszufinden, was da los ist!
Das schreib Sie über ihr erstes Spiel:
Dieses Spiel, gegen Chakir Amine, ist der Grund warum ich Dir geschrieben habe. Ich fühlte mich gut, da der weiße König nicht rochieren konnte.
Auch als ich sah, dass ich meinen Springer verlieren würde dachte ich, dass ich genügend kompensation für den Springer haben würde. Aber dann machte ich einen Fehler und sein Springer gewann das Spiel.
In ihrem Spiel zog Sonia nur 7...Sh5, aber warum? Wenn Sie schon diesen Zug spielt müsste ...e7-e5 folgen (und der Springer würde irgendwann auf dem f4 Feld landen), und das wäre ok. aber nach 7...Sh5 8.Lh2 wechselte Sie zu 8...c5, das jetzt garnichts mit der Idee von 7...Sh5 zu tun hat.
Ich denke deshalb, dass Ihr Zug 7...Sh5 hauptsächlich den Läufer auf f4 angreifen sollte, aber solche Angriffe sind nutzlos, wenn keine tiefere Idee dahintersteckt.
Ich hab mir dann mehr Spiele von ihr angesehen und immer wieder solche nutzlosen Angriffe gesehen, welche ihre Position überhaupt nicht verbessert haben sondern nur die gegnerischen Figuren, ohne wirklichen strategischen Sinn, auf andere Felder trieben. Man sieht bei Amateurspielern immer wieder solche Angriffe auf gegnerische Figuren, aber wenn der einzige Sinn eines Zuges darin besteht, dass der Gegner eine Figur verlieren würde, wenn er plötzlich blind werden würde, dann ist der Zug sehr wahrscheindlich nicht besonders gut.
Sie musste außerdem gar nicht ...Sh5 ziehen, wenn ihr Plan ...e7-e5 gewesen wäre (was er aber offensichtlich nicht war):
LEKTIONEN
- Freu dich, wenn dein König rochiert ist, und der gegnerische König nicht. Solche Situationen schreien oft geradezu nach einer dynamischen Bestrafung.
- Einzügige Drohungen sind verbreitet aber fast immer nutzlos und verschlechtern oft sogar die eigene Stellung.
Etwas später in diesem Spiel ergab sich folgende Stellung:
LEKTIONEN
- Behalte deinen König in Sicherheit!
- Du musst immer wissen, was der beste Zug für deinen Gegner ist. Du darfst nie davon ausgehen, dass dein Gegner einen Fehler macht, mit dem du das Spiel gewinnst. Das heißt, dass du mit dem besten Zug des Gegners rechnen solltest, sofern du ihn siehst (ob dieser dann kommt oder nicht ist eine andere Geschichte). Wenn Sie diesen Rat bei Zug Nr. 19 befolgt hätte, dann hätte sie sicher den Springer c4 Zug gesehen und verhindert, und das Spiel wahrscheindlich gewonnen.
Machen wir eine Pause und lesen, wie sich die Gefühlslage von Amara the Cat während den 3 Niederlagen verändert hat (das Spiel gegen Shakir Amine war eine dieser Niederlagen):
Hier sind die 3 Spiele die ich verloren habe. In jedem davon dachte ich:
1) Das wird ein leichter Sieg; die Stellung meines Gegners ergibt überhaut keinen Sinn.
2) Oh, das habe ich nicht gesehen, aber da gibts sicher noch einen Ausweg.
3) Oh mein Gott, was ist denn jetzt passiert. Ich steh total besch**** und werde verlieren!
LEKTIONEN
- Wenn Du einen Zug wie Lg4 spielst, dann ist es logisch, dass irgendwann h2-h3 kommen wird. Und wenn dein ganzer Plan darin besteht, den Läufer dann wieder nach Hause zu fahren, dann spiel nicht Lg4! (Natürlich gibts hier auch Ausnahmen)
- Wenn Du rochiert hast, und dein Gegner noch nicht, ergeben sich oft Möglichkeiten die initiative zu übernehmen. Natürlich nur, wenn Du sehr dynamisch spielst.
- Versuche taktische Motive zu finden wenn Du rochiert hast, und dein Gegner noch nicht. Dein Gegner kann jeden Moment rochieren, also ist es oft eine "jetzt oder nie" Situation die sich daraus ergibt.
- Jeder kann dich schlagen wenn du passiv spielst, aber viele deiner Gegner werden dem Druck nicht standhalten wenn du aktiv spielst!
LEKTIONEN
- Der Schlüssel zum Glück im taktischen Spiel ist oft die “ungedeckte Figur.” Jeder sollte immer ein Auge auf eine ungedeckte Figur werfen. Du wirst viele Spiele gewinnen, wenn du dies machst. In unserem letzten Spiel haben wir gleich 2 Beispiele dafür gesehen. Die erste ungedeckte Figur war der weiße Springer auf e5, die zweite war der ungedeckte schwarze Springer auf b4.
LEKTION
- Wenn du denkst, du hast verloren, dann HAST DU VERLOREN! Vielleicht hast du sogar einen Gewinnzug auf dem Brett aber du wirst ihn nicht finden, denn wenn du dir eingeredet hast, dass deine Stellung hoffnungslos ist, dann wirst du nur noch eines finden: Hoffnungslosigkeit!
Amara the Cat, ich möchte Dir für die eingesendeten Partien und deine Anmerkungen dazu danken. Ich glaube, deine größten Schwächen erkannt zu haben:
- TAKTIK: Versuche so viele Taktikaufgaben wie möglich zu lösen. Chess.com hat einen Taktiktrainer, und es gibt zahllose Bücher zu diesem Thema.
- DYNAMIC: Dein Spiel tendiert zur Passivität. Das musst Du ändern. Sieh Dir Partien von dynamischen Monstern wie Alekhine, Tal oder anderen Meistern der Dynamic an und versuche so viel wie möglich daraus zu lernen.
Wenn Du Dich auf diesen beiden Gebieten verbessern kannst, dann wirst Du merken, dass Du genau diese Spieler, die Dich in der Vergangenheit besiegt haben, mit deinen hinzugewonnenen Kentnissen vom Brett fegen wirst.
Natürlich sollten alle Schachspieler an allen Facetten ihres Spiels arbeiten, aber wenn jemand eine so signifikante Schwäche hat, dann sollte man diese "Krankheit" so schnell wie möglich "behandeln".