Wie wird man zu einem fortgeschrittenen Schachspieler?
Es gibt viele Möglichkeiten, wie man sein Schach verbessern kann. Man kann Eröffnungen auswendig lernen, Taktikaufgaben lösen und sich mit verschiedenen Strategien beschäftigen. Außerdem ist es äußerst nützlich, die Partien großer Schachspieler sowie die eigenen Partien zu analysieren. Aber womit sollte man nur anfangen? Ein unerfahrener Spieler kann von der Auswahl schier überwältigend sein!
Im Laufe der Jahre habe ich versucht, diese Frage in meinen Artikeln zu beantworten. In diesem Artikel habe ich zum Beispiel geschrieben:
"Anfänger müssen keine Eröffnungen lernen und brauchen auch keine Endspieltechnik. Und auch die Lektionen über isolierte Bauern oder schwache Felder ist pure Zeitverschwendung. Spieler dieser Stärke müssen nur eine Regel beachten: Schlag jede Figur deines Gegners, die du schlagen kannst!"
Aber was ist, wenn man kein Anfänger mehr ist? Was sollte man dann machen, um sein Schach zu verbessern? Darüber habe ich in diesem Artikel geschrieben und dabei mein Bestes gegeben, um Yogi Berra nachzuahmen: "Schach ist 90% Mustererkennung und die andere Hälfte sind Berechnungen."
Leider stößt man aber bereits hier auf ein weiteres Problem: Es gibt buchstäblich Tausende verschiedener Muster im Schach. Welche sollte man also studieren und wie sollte man sie studieren? Im oben genannten Artikel habe ich dieses Problem besprochen:
"Es gibt eine große Vielfalt an verschiedenen Mustern: taktische Motive, strategische Ideen, Endspielstellungen usw. Womit sollte man sich also beschäftigen? Es sind zwar alle Muster für die schachliche Entwicklung unerlässlich, aber die taktischen Muster sind aufgrund der einfachen Tatsache, dass ein Schachmatt eine Partie beendet und ein gut ausgeführter Minoritätsangriff einem Spieler lediglich eine bessere Stellung verschafft, offensichtlich wichtiger."
Hier haben wir also schon die Antwort: Zuerst muss man taktische Muster erlernen. Vor über zehn Jahren habe ich eine ganze Artikelserie mit dem Titel "typische Muster, die jeder kennen sollte" geschrieben und diese Artikel können ein guter Anfang sein. Aber was ist, wenn man kein Anfänger mehr ist und diese grundlegenden Muster bereits recht gut kennt? Was sollte man dann machen, um ein besserer Spieler zu werden?
Als Kind war ich sehr beeindruckt von der Methode des berühmten sowjetischen Trainers und Internationalen Meisters Mark Dvoretsky. Jeder einzelne Artikel, den er in einem Schachmagazin veröffentlichte, war ein wahrer Schatz! Er konnte schwierige Konzepte anhand zahlreicher Beispiele, die immer auf ein bestimmtes Muster hinausliefen, verständlich erklären.
Wenn ich dann in einer Großmeisterpartie eine interessante Stellung sah, nahm ich ein Notizbuch und zeichnete ein Diagramm mit dem interessantesten Moment der Partie. Und wenn ich dann eine andere Partie analysierte und mich dort etwas faszinierte, zeichnete ich ein weiteres Diagramm. Langsam aber sicher wuchs meine Sammlung interessanter Stellungen. Wenn Ihr aber jetzt glaubt, dass diese Diagramme unglaubliche Kombinationen zeigen, werdet Ihr enttäuscht sein. Hier ist nur ein Beispiel:
Und hier ist die Partie:
Ich weiß genau, was die meisten von Euch jetzt denken: "Was ist die große Sache an dem Zug 17. Tab1 und warum hat sich Serper die Mühe gemacht, davon ein Diagramm zu zeichnen?" Nun, es ist nicht der Zug selbst. Es ist der Denkprozess des Großmeisters, der mich so beeindruckt hat. An diesem Punkt meiner schachlichen Entwicklung hätte ich in tausend Jahren nicht an einen Zug wie 17. Tab1 gedacht!
Das Zeichnen Hunderter Diagramme war sehr zeitaufwändig. Aber meine Vorgehensweise hatte auch einen Vorteil: Wenn man ein Diagramm manuell zeichnet, kann man es sich viel besser merken! Auf diese Weise habe ich mir nicht nur Hunderte von Mustern eingeprägt, sondern auch gelernt, diese Muster zu erkennen. Wenn ich heutzutage eine Partie sehe, tauchen in meinem Kopf buchstäblich Muster auf! Ich zeige Euch ein einfaches Beispiel.
Ich bin mir sicher, dass Ihr wisst, dass ich besonders den usbekischen Schachspielern und ganz besonders Nodirbek Abdusattorov folge. Hier ist eine Stellung aus einer seiner kürzlich gespielten Partien:
Natürlich sah ich sofort ein bekanntes Muster: Dies ist genau die Kombination, mit der ich vor über 30 Jahren den legendären Großmeister Lev Polugaevsky geschlagen habe:
Hier ist eine Partie von meinem Lieblingsspieler:
Wieder sah ich ein sehr bekanntes Muster: ein Mittelspiel mit ungleichfarbigen Läufern. In solchen Stellungen ist ein Angriff gegen einen König meistens entscheidend. Die Erklärung ist ganz einfach: Wenn man die Felder der Farbe seines eigenen Läufers angreift, ist der gegnerische Läufer, der auf den Feldern der anderen Farbe spielt, für die Verteidigung völlig nutzlos. Daher ist es fast so, als hätte man eine zusätzliche Figur im Angriff!
Es ist also kein Wunder, dass Schwarz in der Diagrammstellung trotz ausgeglichenen Materials praktisch aufgeben kann. Auch hier fand ich ein ähnliches Muster aus einer fast 40 Jahre alten Partie, in der ich gegen eine andere Schachlegende gespielt hatte. Diesmal ist die Erinnerung nicht so angenehm:
Ich habe jetzt meine eigene Partie nur verwendet, um diese Muster zu veranschaulichen. Ich hätte auch genauso gut diese Partie zweier Elite-Großmeister zeigen können:
Solltet ihr jetzt also mit dem Zeichnen von Diagrammen beginnen, wie ich es im letzten Jahrhundert getan habe, um Euer Schach zu verbessern? Natürlich nicht! Ich würde Euch aber dringend empfehlen, Mustern zu erlernen. Versucht doch zum Beispiel nach Euren eigenen Partien, den wichtigsten Wendepunkt der Partie herauszufinden. Versucht, eine Stellung herauszupicken, an das Ihr Euch Euer ganzes Leben lang erinnern möchtet. Dann fügt Ihr eine Notiz hinzu, erklärt dieses Muster und speichert die Partie.
Und macht das auch, wenn Ihr Euch Partien großer Schachspieler anseht. Identifiziert einen Schlüsselelement der Partie, den Ihr gerne in Euren eigenen Partien verwenden würdet, mache eine Notiz, in der Ihr erklärt, warum dies ein wichtiger Moment war und speichert die Partie. Wenn Eure Sammlung von Mustern dann größer wird, werdet Ihr den Unterschied in Euren eigenen Partien bemerken. Ihr werdet Muster erkennen und Euch langsam aber sicher zu einem fortgeschrittenen Schachspieler entwickeln!