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Chess960-Weltmeisterschaft Halbfinale: Carlsen unter Druck, Nepo kreativ

Chess960-Weltmeisterschaft Halbfinale: Carlsen unter Druck, Nepo kreativ

Nhatnamsumo
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Chess960/Schach960 erfreut sich seit Jahren an steigender Beliebtheit. Insbesondere das im Februar 2018 ausgetragene Chess960-Match zwischen Magnus Carlsen und Hikaru Nakamura scheint dieser jungen Variante des Schachspiels gehörigen Auftrieb gegeben zu haben. Unter den Weltklassespielern und Top-Großmeistern scheint es nur noch wenige zu geben, die mit Chess960 bislang noch nichts am Hut haben.

So war es nur eine Frage der Zeit, bis die FIDE das Schach960 in ihr offizielles Turnierprogramm mit aufnehmen würde. Und in diesem Jahr war es nun soweit: erstmals gibt es eine offizielle Chess960-Weltmeisterschaft. Seit April schon konnte jeder Schach960-Freund in Online-Turnieren versuchen, sich durch gutes Spiel für die nachfolgenden Turniere, in denen dann Titelträger dazu stießen, zu qualifizieren. Später dann wurden in Minimatches die Viertelfinalisten und schließlich die Halbfinalteilnehmer ermittelt.
Und in diesen Tagen nun -  vom 27.10.2019 bis 02.11.2019 - treffen in Hovikodden bei Oslo Magnus Carlsen, Fabiano Caruana, Wesley So und Ian Nepomniachtchi aufeinanden, um in 2 Halbfinalmatches und den Finalmatches den ersten Weltmeister in dieser wohl kreativsten Form des Schachspiels zu ermitteln.

Die größte Herausforderung im Schach960 besteht wohl darin, ohne Zugriff auf Eröffnungstheorie jedweder Art aus den Figuren und Bauern der Ausgangsstellung ein harmonisch zusammenspielendes, schlagkräftiges Team zu formen, um dann letztlich doch „normales“ Schach spielen zu können und die gegnerische Stellung nach klassischen Mustern anzugehen. Gerade in Großmeisterkreisen scheint Schach960 immer beliebter zu werden – mit den in der heutigen Zeit sich rasend entwickelnden neuen Eröffnungsvarianten Schritt zu halten, überfordert schlicht und einfach den Zeitrahmen vieler Spieler.

Und Schach960 folgt den gleichen Regeln wie das klassische Schach auch. Auch die Rochaderegeln sind leicht und schnell erlernbar – siehe z. B. folgendes Video: Schach960: Rochaderegeln - erste Tipps

Die Auslosung führte im Halbfinale Magnus Carlsen mit Fabiano Caruana sowie Ian Nepomniachtchi mit Wesley So zusammen. An den ersten beiden Tagen werden je 2 Partien mit 45 min Bedenkzeit (incl. 15 min Zeitzugabe, die es nach dem 40. Zug gibt, falls die Partie bis dahin noch läuft), gespielt. Am 3. Tag folgen dann Schnellpartien und Blitzpartien.

Die Auslosung für die Partien des ersten Tages ergab folgende Ausgangsstellung:

87654321abcdefgh

Eine aus meiner Sicht äußerst knifflige Stellung: betrachten wir zunächst den König auf c1 (c8): Zur g-Rochade ist es ein langer Weg, frühestens in 6 Zügen  kann er nach g1 rochieren; die c-Rochade aber wird auch Schwächen aufweisen, weil der Läufer von b1 ziehen muss; bis der König z. B. auf b1 sicher steht, werden auch mindestens 5 Züge nötig sein – ganz zu schweigen davon, dass man auf die ersten Drohungen des Gegners ja auch reagieren muss. Dazu haben wir gleichfarbige Springer, die, wenn sie sich auf die Felder c3, e3 oder g3 entwickeln, später auf die gleichen Felder im Zentrum (d5, f5) einwirken, was es dem Gegner oft leicht macht, diese Springer zu kontrollieren. Auch der Läufer auf e1 wird vorerst mit kurzen Entwicklungszügen zufrieden sein müssen, da er auf b4 und h4 evtl. gleich von den Springern attackiert werden wird.

Meine Empfehlung in dieser Stellung wäre daher: die Stellung um den König herum zunächst möglichst geschlossen halten und erst expandieren, wenn der König sicher steht - beispielsweise ein Aufbau mit f4, Sc3, g4, Sg3, Lf2, a3 und La2 oder ähnliches.

Carlsen und Caruana scherten sich jedoch einen Teufel um die Königssicherheit und legten klassisch im Zentrum los. Carlsen schickte im Verlauf der Eröffnung nicht nur die d- und e-Bauern ins Zentrum, sondern schob im 7. Zug auch noch c4 nach. Doch Caruana neutralisierte im Stile eines Aikido-Meisters die weiße Aggression relativ leicht und um den 10. Zug herum war es Carlsen, der sich bereits umschauen musste, nicht in Nachteil zu geraten. Die Partie nahm dann nach und nach aus dem klassischen Schach bekannte Bilder an. Die Bürde eines isolierten d-Bauern dachte Carlsen abschütteln zu können (d4-d5), er verrechnete sich dabei aber offenbar und landete in einem schlechten Endspiel, das Caruana sicher zum Sieg führte.