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Norway Chess 2024: 7 Diskussionspunkte
Magnus Carlsen und Ding Liren trafen zuletzt 2019 im Norway Chess aufeinander. Foto: Lennart Ootes/Norway Chess.

Norway Chess 2024: 7 Diskussionspunkte

Colin_McGourty
| 0 | Berichterstattung von einem Schach-Event

Weltmeister Ding Liren wird seine erste klassische Partie gegen Ex-Champion Magnus Carlsen spielen, wenn am Montag in Stavanger das neu gestaltete Norway Chess 2024 beginnt. Der Titelverteidiger GM Hikaru Nakamura und der Zweitplatzierte von 2023 GM Fabiano Caruana kämpfen ebenfalls um den Titel und das Preisgeld von rund 60.000 Euro.

Zum ersten Mal gibt es auch ein Norway Chess für Frauen mit identischen Preisen. Die Weltmeisterin Ju Wenjun tritt in der ersten Runde gegen GM Vaishali Rameshbabu an, während die 61-jährige Legende Pia Cramling eine weitere Spielerin sein wird, die man im Auge behalten sollte.

Das Turnier beginnt am Montag, 27. Mai, um 17:00 Uhr MESZ.

line up open
Beim diesjährigen Norway Chess gibt es nur Schach-Superstars.

Die 12. Ausgabe von Norway Chess ist eine Mischung aus Altbewährtem und Neuem. Wieder einmal spielen einige der weltbesten Spieler:innen klassisches Schach mit Entscheidungsspielen nach jedem Remis, aber dieses Mal wird die Veranstaltung in zwei getrennte Turniere mit sechs Spieler:innen aufgeteilt. Werfen wir einen Blick auf einige der möglichen Szenarien.

  1. Weiß Magnus noch, wie man klassisches Schach spielt?
  2. Kann Hikaru seinen Titel verteidigen (und gleichzeitig vom Confessional „streamen“)?
  3. Kann Ding den letzten Platz vermeiden?
  4. Ist gleiches Preisgeld für Open und Women's Events die Zukunft?
  5. Kann Vaishali ihren Höhenflug fortsetzen?
  6. Kann Pia Cramling die Zeit zurückdrehen?
  7. Wird ein Guinness-Rekord gebrochen?  

1. Weiß Magnus noch, wie man klassisches Schach spielt?

Es ist sechs Monate her, dass der Weltranglistenerste Carlsen das letzte Mal eine klassische Schachpartie gespielt hat. Das war im November, als er bei der Mannschaftseuropameisterschaft in Montenegro mit 6,5/8 Einzelgold gewann. Seitdem hat er sieben der acht Turniere, die er gespielt hat, gewonnen, aber entweder in schnellen Bedenkzeiten oder im Schach960. 

In einem Interview mit Amit Kamath für The Indian Express vor dem Turnier äußerte sich Carlsen zu Norway Chess:

„Ich freue mich darauf, gegen die besten Spieler der Welt zu kämpfen. Ich habe im letzten Jahr ziemlich viel klassisches Schach gespielt, auch wenn ich das schon eine Weile nicht mehr getan habe, aber nicht viele Partien davon waren gegen die absoluten Spitzenspieler, also ist das etwas ziemlich Aufregendes für mich. Wahrscheinlich will ich das nicht mehr so oft machen wie früher, aber das macht die Veranstaltungen, an denen ich teilnehme, auch so besonders. Ich bin auch neugierig darauf, wie mein Niveau ist, denn im Moment weiß ich es nicht wirklich.“ 

I'm also curious to see what my level is because at the moment I don't really know.

—Magnus Carlsen

Zu einem bestimmten Zeitpunkt in Carlsens Karriere hieß es, dass der norwegische Weltranglistenerste bei seinem Heim-Superturnier nicht gut abschneidet, aber eine Siegesserie von vier Turnieren in den Jahren 2019 bis 2022 zerstörte dieses Gerücht. 

Edition Jahr Norway Chess Sieger
1 2013 Sergey Karjakin
2 2014 Sergey Karjakin
3 2015 Veselin Topalov
4 2016 Magnus Carlsen
5 2017 Levon Aronian
6 2018 Fabiano Caruana
7 2019 Magnus Carlsen
8 2020 Magnus Carlsen
9 2021 Magnus Carlsen
10 2022 Magnus Carlsen
11 2023 Hikaru Nakamura

Das heißt aber nicht, dass es nichts zu beweisen gibt. Im Jahr 2023 konnte Carlsen keine einzige seiner klassischen Partien gewinnen und wurde Sechster von 10 Spielern. Es gibt ein „aber“ - er erreichte acht Remis und gewann dann alle bis auf eine der darauf folgenden Endspielpartien! (Weiß hat zehn Minuten Zeit, Schwarz sieben, aber Schwarz braucht nur ein Remis, um zu gewinnen.)

Das war toll für die Zuschauer:innen, aber beim Armageddon steht nur ein zusätzlicher halber Punkt auf dem Spiel (für ein klassisches Remis bekommen die Spieler:innen je einen Punkt), während es beim klassischen Schach drei Punkte für einen Sieg gibt. Um das Turnier zu gewinnen, muss Carlsen bei der langen Bedenkzeit wieder auf die Siegerstraße zurückkehren.

Magnus Carlsen ist gerade bei @NorwayChess angekommen - Keti Tsatsalashvili

Carlsen hat ein großes Spiel zum Auftakt seines Turniers - Schwarz gegen seinen Weltmeisterschaftsnachfolger Ding in ihrem ersten klassischen Spiel seit dem Match 2023:

Paarungen der Runde 1. Die vollständige Liste der Paarungen findest du hier.

2. Kann Hikaru seinen Titel verteidigen (und gleichzeitig vom Confessional „streamen“)?

Der Titelverteidiger ist Nakamura, der Caruana in der letzten Partie des Turniers 2023 besiegte und den Titel in spektakulärem Stil holte. Der fünfmalige US-Champion hat die Partien natürlich nachher zusammengefasst, aber du musstest nicht bis dahin warten, um zu hören: „Willkommen zurück, Leute!" da Nakamura während seiner Partien oft das Confessional aufsuchte. Hier ist er zum Beispiel während der entscheidenden Partie in der letzten Runde.

Dieses Turnier ist wie geschaffen für einen erfahrenen Streamer, und Nakamura, der beim letzten FIDE-Kandidatenturnier den zweiten Platz belegte, gilt neben Carlsen als Favorit auf den Sieg. 

Caruana sah 2023 wie der sichere Sieger aus, bis Nakamura in der letzten Runde zuschlug.

3. Kann Ding den letzten Platz vermeiden?

Dem Schachweltmeister eine solche Frage zu stellen, würde normalerweise sowohl als unhöflich als auch als undenkbar gelten, aber Ding ist derjenige, der sich zum Ziel gesetzt hat, den letzten Platz zu vermeiden. In einem Interview erklärte er kürzlich, dass er seine Ambitionen für 2024 geändert hat:

„Bei meinem ersten Turnier in Wijk aan Zee war es mein Ziel, den ersten Platz zu belegen, aber später lief es nicht mehr so gut. Ich kam nicht unter die ersten sieben... Auch beim nächsten Turnier, in Weißenhaus, wurde ich Letzter. Das war ein großer Schock für mich, also habe ich mein Ziel danach geändert. Norwegen ist eine völlig neue Herausforderung für mich. Es gibt viele starke Spieler, die an diesem Turnier teilnehmen. Trotzdem ist es mein Ziel, nicht auf dem letzten Platz zu landen.“

My aim is not to finish in last place.

—Ding Liren

Stavanger birgt einige traumatische Erinnerungen für Ding, denn bei seinem Debüt 2018 brach er sich beim Radfahren die Hüfte und musste nach drei Runden aufgeben. Ein Jahr später kehrte er zurück, schaffte es aber nicht, sich in der oberen Hälfte zu platzieren. 

Das Kaliber der Gegner ist ein weiterer Grund, warum es für jeden eine Herausforderung ist, nicht auf dem letzten Platz zu landen. Caruana war in der letzten Runde nur ein Remis davon entfernt, seinen zweiten norwegischen Schachtitel 2023 zu gewinnen, und er war wohl der beste klassische Spieler des letzten Jahres, und es gibt keine schwachen Spieler.

GM Alireza Firouzja hat gerade zweimal Carlsen besiegt und das Chess.com Classic gewonnen. 2020 und 2021, als das Norway Chess ebenfalls mit sechs Spielern ausgetragen wurde, wurde er Zweiter hinter Carlsen.

Praggnanandhaa hatte ein gutes, aber kein großartiges Kandidatenturnier - kann er die Vorbereitung auf dieses Turnier in Norwegen nutzen? Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Der jüngste Spieler im Feld ist der 18-jährige Praggnanandhaa Rameshbabu, der als vierter indischer Spieler nach den GMs Viswanathan Anand, Pentala Harikrishna und Gukesh Dommaraju sein Debüt in Stavanger gibt. Im obigen Interview sagte Carlsen über den Jungstar: „Ich habe schon viele tolle Duelle gegen Pragg gehabt, das macht mir wirklich Spaß. Ich spiele generell gerne gegen die Kinder.“

Praggnanandhaa wird auch ein starkes Unterstützungsnetzwerk haben, da seine Schwester GM Vaishali Rameshbabu ebenfalls in Norwegen spielt.

4. Ist gleiches Preisgeld für Open und Women's Events die Zukunft?

Norway Chess hat schon immer Frauen als Kommentatorinnen, Fotografinnen, Interviewerinnen und für andere Aufgaben rund um das Turnier gefördert, aber bis jetzt hatte noch keine einzige Frau an dem Top-Event teilgenommen - GM Hou Yifan, die zweitstärkste Spielerin aller Zeiten, nahm 2016 an einem Qualifikationsturnier mit vier Spielern teil, schaffte es aber nicht in die Endrunde. 

Das wird sich 2024 ändern, denn die Organisator:innen veranstalten zwei Sechser-Turniere mit identischen Preisgeldern, so dass die Siegerin des Frauenturniers ebenfalls 700.000 NOK, also rund 60.800 Euro, mit nach Hause nehmen kann. Außerhalb des Weltmeisterschaftszyklus ist das ein Novum für reine Frauenturniere, obwohl das nächstlukrativere Turnier, der Cairns Cup mit einem Preisgeld von 50.000 $, in St. Louis weniger als eine Woche nach dem Ende von Norway Chess beginnt.

line up women
Die Weltmeisterin führt das Feld der Frauen an.

Wenn es um die Weltmeisterschaft der Frauen geht, sind die Preisgelder groß, aber nicht im Vergleich zu den Gesamtpreisen. Ju erhielt 300.000 € für den Gewinn der Frauenweltmeisterschaft 2023, während Ding 1,1 Millionen € für den Gewinn des Gesamttitels erhielt - es wären genau viermal so viel gewesen, nämlich 1,2 Millionen €, wenn das Match nicht in Tiebreaks entschieden worden wäre. 

Das Preisgeld für das kommende Frauen-WM-Match beträgt 500.000 Euro, ein Viertel der 2 Millionen Euro von Nepo gegen Ding. Wie würdest du dich fühlen, wenn du ein kleines Mädchen wärst, das davon träumt, ein Schachprofi zu werden, und diese Zahlen siehst? Ich applaudiere all den tollen Frauen, die unser Spiel weiterhin repräsentieren. - Maurice Ashley

Häufiger ist das Verhältnis 2:1 bei den Preisen - zum Beispiel bei den jüngsten FIDE-Kandidatenturnieren - während gleiche Preisgelder im Schach äußerst selten sind. Bei der Polnischen Meisterschaft ist das Preisgeld seit 2016 gleich, und auch beim Tata Steel Chess India im letzten Jahr gab es für beide Turniere das gleiche Preisgeld: IM Divya Deshmukh und Ju verdienten genauso viel wie die GMs Maxime Vachier-Lagrave und Alexander Grischuk bei den nacheinander stattfindenden Turnieren. Praggnanandhaa ist ein Spieler, der dafür ist:

„Ich freue mich, dass ein exklusives Frauenturnier bei Norway Chess eingeführt wird. Das ist eine sehr gute Initiative, denn es gibt nicht viele Turniere für Frauen. Das wird andere Organisationen ermutigen, auch Frauenturniere zu veranstalten. Auch meine Schwester wird dort spielen. Ich bin gespannt, wie sie sich schlagen wird.“

This will encourage other organizations to come up with women's tournaments too.

—Praggnanandhaa Rameshbabu   

Wird sich das gleiche Preisgeld durchsetzen? Nun, die U.S. Open 1973 waren der Vorreiter im Tennis, und die anderen Grand Slams haben schließlich alle nachgezogen. Dagegen spricht, dass auch Frauen bei den offenen Turnieren mitspielen dürfen und dass es kein physisches Hindernis für sie gibt - Judit Polgar hat das im Alleingang bewiesen. Trotzdem könnte mehr Geld im Frauenturnier das Interesse und den Wettbewerb beflügeln. 

5. Kann Vaishali ihren Höhenflug fortsetzen?

Ju, GM Lei Tingjie und GM Koneru Humpy sind vielleicht die etablierten Stars, die das erste Norway Chess Women's gewinnen wollen, während GM Anna Muzychuk nach 14 sieglosen Runden im Kandidatenturnier auf eine Revanche hofft, aber die interessantesten Spielerinnen, die es zu beobachten gilt, sind vielleicht die beiden, die am niedrigsten bewertet werden.

Vaishali, deren Großmeistertitel kürzlich bestätigt wurde, kommt mit einer unglaublichen Siegesserie von fünf Partien am Ende des Kandidatenturniers ins Turnier. Wenn sie diese Serie fortsetzen kann oder ihr nahe kommt, wird sie um den Hauptpreis kämpfen.

Nach vier Niederlagen in Folge bei dem Kandidatenturnier der Frauen, schlug Vaishali zurück und gewann ihre letzten fünf Partien! Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Es wird nicht leicht für Vaishali sein, ihre Serie zu verlängern! 

Vaishali muss die Weltmeisterin mit Schwarz schlagen, um sechs Siege in Folge zu erreichen. Alle Paarungen gibt es hier.

6. Kann Pia Cramling die Zeit zurückdrehen?

Die andere Hauptattraktion wird Cramling sein, die mit 61 Jahren immer noch in der Reihe der 30 besten Schachspieler:innen der Welt steht, 40 Jahre nachdem sie 1984 als 21-Jährige zum ersten Mal die Nummer 1 im Frauenschach wurde. Ihre Tochter, WFM Anna Cramling, erzählt die Geschichte:

♟️@AnnaCramling 's Mutter, eine schwedische Schachlegende, Pia Cramling ❤️ - Norway Chess

Es würde niemanden überraschen, wenn die legendäre Cramling mit den neueren Stars des Spiels auf Augenhöhe konkurrieren würde.

7. Wird ein Guinness-Rekord gebrochen?

Es wird nicht nur ernsthaftes Schach gespielt, denn die norwegischen Schachspieler und Podcaster Askild Bryn und Odin Blikra Vea wollen den Guinness-Weltrekord für den längsten Schachmarathon aufstellen. Die Aufgabe wurde plötzlich noch schwieriger, als der Nigerianer Tunde Onakoya die Messlatte auf 60 Stunden mehr oder weniger pausenloses Schachspiel mit einer Extravaganz am Times Square in New York im letzten Monat anhob.  Sie werden ihre eigenen Partien live übertragen, so dass es auch dann Schach zu sehen gibt, wenn die Stars in Stavanger eine Pause einlegen. 

Wie kannst du zusehen? Du kannst Norway Chess 2024 auf den Chess24 YouTube- und Twitch-Kanälen verfolgen. Es wird auch auf Nakamuras Kick-Kanal gestreamt. Die Partien können außerdem auf unserer Eventseite verfolgt werden: Open | Frauen.

Die Live-Übertragung wird von IM Stever Berger und GM Jan Gustafsson moderiert.

Norway Chess 2024 bietet ein offenes Turnier und ein Frauenturnier mit jeweils sechs Spieler:innen und einem Preisgeld von 1.690.000 NOK (etwa 147.000 €). Es findet vom 27. Mai bis zum 7. Juni in Stavanger statt. Die Schachspieler:innen treten zweimal gegen ihre Gegner:innen im klassischen Schach an (120 Minuten/40 Züge, mit einem 10-Sekunden-Inkrement ab Zug 41). Der/die Sieger:in einer klassischen Partie erhält drei Punkte, der/die Verlierer:in null; nach einem Unentschieden erhalten die Spieler:innen einen Punkt und kämpfen um einen weiteren halben Punkt im Armageddon (10 Minuten für Weiß und sieben für Schwarz, wobei Schwarz schon ein Remis zum Sieg reicht). 


Vorherige Berichterstattung:

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Colin McGourty

Colin McGourty led news at Chess24 from its launch until it merged with Chess.com a decade later. An amateur player, he got into chess writing when he set up the website Chess in Translation after previously studying Slavic languages and literature in St. Andrews, Odesa, Oxford, and Krakow.

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