EILMELDUNG: Levon Aronian wechselt in die USA
Großmeister Levon Aronian wird von Armenien zu den USA wechseln und nach St. Louis umziehen. Das hat Aronian heute Vormittag in den sozialen Medien bekannt gegeben.
"Ich bin aufrichtig stolz darauf, die Ehre gehabt zu haben, einen bedeutenden Beitrag zu den größten Errungenschaften des armenischen Schachs zu leisten", wird Aronian in einer Pressemitteilung des Saint Louis Chess Clubs zitiert. "Ohne die enorme Menge an Arbeit, die ich zu Hause und durch die Unterstützung meiner Landsleute geleistet habe, wäre es unmöglich gewesen, in die Weltspitze vorzudringen. Ich bedanke mich auch für die persönliche Unterstützung, die ich vom dritten armenischen Präsidenten Serzh Sargsyan über viele Jahre hinweg erhalten habe."
Bereits am 4. Februar 2021 berichtete das armenische Nachrichtenportal Armenews, dass Aronian den Verband wechseln wird und verwies dabei auf eine Quelle namens Mediapart TV. In dem Artikel wurde über ein Zerwürfnis zwischen Aronian und der armenischen Regierung spekuliert:
"Der Grund für den Verbandswechsel und insbesondere für die Aufgabe der Farben Armeniens könnte ein unerfülltes Versprechen des armenischen Premierministers Nikol Pashinyan sein. In den ersten Monaten nach seinem Amtsantritt als Chef der armenischen Regierung, hatte Pashinyan Aronian getroffen und ihm versprochen, das Problem der Anschaffung eines Supercomputers sowie der Finanzierung eines persönlichen Trainers für Aronian zu lösen, damit sich der armenische Meister bestmöglich auf Super-Turniere vorbereiten kann. Laut Mediapart TV hatte Pashinyan seine Versprechen jedoch nie erfüllt."
Als die Gerüchte mehr wurden und GM Smbat Lputian, Vizepräsident des armenischen Schachverbands, auf eine bevorstehende Erklärung von Aronian hinwies, wurde die armenische Nummer eins zunehmend kritisiert. Dann schrieb seine Mutter, Seda Aronovna, auf Facebook eine Erklärung und verteidigte ihren Sohn. Laut News.am sprach sie dabei auch das Problem an, dass Aronan keinen Zugang zu einem starken Computer haben würde und kontert die Anschuldigungen der Regierung, dass ihr Sohn "astronomische Beträge" erhalten habe:
"Das Geld wurden dem armenischen Schachverband überwiesen, damit dieser Nutzungsrechte an einem speziellen Server erwerben kann. Mein Sohn ist aber nicht der einzige, der von diesem Server profitiert hat und seit 2020 konnte er den Dienst überhaupt nicht mehr nutzen."
In seiner Erklärung auf Facebook bestätigte Aronian, dass Differenzen mit der neuen Regierung, die seit Mai 2018 an der Macht ist, zu seiner Entscheidung geführt haben.
"Nachdem ich mehr als ein Jahr auf die Erfüllung der Versprechen der derzeitigen Regierung gewartet hatte, wurde mir klar, dass ich eine radikale Entscheidung treffen und mein Heimatland verlassen musste. Offensichtlich ist jedes Jahr des Wartens auf Veränderungen ein verschwendetes Jahr für meine sportliche Karriere."
Der frühere Präsident Armeniens, Serzh Sargsyan, war ein großer Schachliebhaber. Während seiner Regierungszeit war er auch Präsident des armenischen Schachverbandes. Aronian wies darauf hin, dass er und seine Kollegen Sargsyan viel schuldeten, aber dass sich seit dem Amtsantritt von Pashinyan viel zum Schlechten gewendet hat:
"Nach der Revolution im Jahr 2018 versprach die neue Regierung, die Linie der alten Regierung fortzusetzen, aber das Versprechen war nur auf ein Jahr Teilhilfe und auf eine teilweise Unterstützung beschränkt und danach gab es überhaupt keine Unterstützung mehr. In der Zwischenzeit wurde der Schachverband mit absolut inkompetenten neuen Funktionären besetzt, die sich unsere Erfolge selbst zugeschrieben haben und es durch Erpressung schafften, die Schachgeschichte neu zu schreiben. Es gelang ihnen, eine solide Schachfamilie in kürzester Zeit in ein Chaos zu verwandeln."
Obwohl Aronians Entscheidung schon lange feststand, wurde sie genau einen Tag nach erheblichen politischen Unruhen in seinem Heimatland veröffentlicht. Am Donnerstag warnte Pashinyan vor einem Militärputsch, weil die Streitkräfte des Landes erklärt hatten, dass er und sein Kabinett zurücktreten müssten.
Aronian macht keinen Hehl daraus, dass er vom Milliardär Rex Sinquefield, dem Mitbegründer des Saint Louis Chess Clubs, eine finanzielle Unterstützung erhält. Laut Aronian wiederholte Sinquefield "sein Angebot, dass ich in die USA ziehen könnte, jedes Jahr".
"Ich möchte dem ehrenwerten Rex Sinquefield meinen Dank aussprechen, dass er bis heute an mich glaubt. Ich möchte auch Fabiano Caruana, Amerikas stärksten Spieler, der mich bei meiner Entscheidung, dass wir in Zukunft Teamkollegen sein werden, unterstützt hat, danken. Ich bin auch meiner Familie, meinen Verwandten, Freunden und allen Menschen, die meine Prinzipien kennen und meine Entscheidung, den Verband zu wechseln, verstehen, sehr dankbar."
Sinquefield sagte dazu: "Levon hat 2013 bei unserem allerersten Sinquefield Cup mitgespielt. Ich habe ihn im Laufe der Jahre als starken Spieler und wahren Gentleman kennengelernt. Er repräsentiert das Beste aus unserem Sport. Als er zum mir kam und mir sagte, dass er daran interessiert wäre, nach St. Louis zu ziehen und für die USA zu spielen, konnte ich mir keinen besseren vorstellen. Wir heißen ihn mit offenen Armen willkommen."
Laut einer Pressemitteilung ist der Saint Louis Chess Club für Aronian zu einer zweiten Heimat geworden. Nach dem Gewinn des Saint Louis Rapid & Blitz Turniers 2019 sprach er begeistert über seine zahlreichen Besuche im Central West End. Bei der Siegerehrung sagte er: "Ich liebe es, in der Stadt St. Louis zu spielen. Hier sind Schachspieler stolz darauf Schachspieler zu sein und werden geliebt und das ist hauptsächlich der Familie Sinquefield zu verdanken."
Ab wann Aronian berechtigt sein wird, bei FIDE-Events unter der amerikanischen Flagge zu spielen, steht noch nicht genau fest. Früher musste ein Spieler zwei Jahre, nachdem er einen Verbandswechsel eingeleitet hatte, warten. Lauf den neuen Regularien, die seit dem 1. Dezember 2020 gelten, beginnt dieser Zweijahreszeitraum ab dem Zeitpunkt, an dem der Spieler zuletzt an einem offiziellen FIDE-Event teilgenommen und seinen ehemaligen Verband vertreten hat.
Darüber hinaus verlangt die FIDE den Nachweis des neuen Wohnsitzes, der auch den Beginn der zweijährigen Wartezeit bestimmt. Stand heute hat die FIDE noch keine Dokumente erhalten, aber falls Aronian einen rückwirkenden Wohnsitznachweis vorlegen könnte, würde er damit viel Zeit gewinnen.
Aronians letztes offizielles FIDE-Event war die Schnellschach & Blitz-Weltmeisterschaft in der letzten Woche des Jahres 2019. Ob der FIDE den Online Nations Cup 2020 und die FIDE Online-Olympiade 2020 als offizielle Turniere einstufen, ist noch nicht klar. Die letzte Entscheidung darüber hat die FIDE Qualification Commission.
Alles in allem ist es aber wahrscheinlich, dass Aronian bei der nächsten Schacholympiade, die für Sommer 2022 in Moskau geplant ist, für das US-Team spielen wird.
Mit einem Rating von 2781 wäre Aronian momentan hinter Caruana (2823) und noch vor Wesley So (2770) und Leinier Dominguez (2758) die nominelle Nummer 2 der USA.
Die eben genannten Spieler haben ebenfalls schon Erfahrungen mit Verbandswechseln gesammelt. Caruana spielte von 2005 bis 2015 für das Heimatland seiner Eltern, Italien, bevor er in sein eigenes Geburtsland, die USA, zurückwechselte. Wesley So wurde auf den Philippinen geboren und spielte bis 2014 für sein Heimatland. Dominguez wechselte erst Ende 2018 von Kuba in die USA.
In Armenien, wo er ein Nationalheld ist, wird Aronian ein großes Loch hinterlassen. 2005 wurde er zum Sportler des Jahres gekürt und 2009 zum Ehrenmeister des Sports der Republik Armenien ernannt.
Seit Anfang der 2000er Jahre war er die Nummer 1 seines Landes und mit der Nationalmannschaft sehr erfolgreich. Er führte die Armenier zu Goldmedaillen bei den Olympiaden 2006 (Turin), 2008 (Dresden) und 2012 (Istanbul) und 2011 in China zur Weltmeisterschaft.
Aronian informierte den armenischen Schachverband und seine Anhänger am Donnerstag, dem 25. Februar 2021, mit den Worten: "Ich bin meiner Familie, meinen Verwandten, Freunden und allen Menschen, die meine Prinzipien kennen und meine Entscheidung, den Verband zu wechseln, verstehen, sehr dankbar. Ich möchte aber allen noch einmal versichern, dass ich mit meiner Heimat verbunden bin. Ich werde auch aus der Ferne auf jeden Fall versuchen, alles Mögliche und Unmögliche für mein Land zu tun."