News
Ein Rückblick auf das Prager Chess Festival 2020
Firouzja receiving his prize for winning in Prague. Photo: Prague Chess Festival.

Ein Rückblick auf das Prager Chess Festival 2020

PeterDoggers
| 3 | Berichterstattung von einem Schach-Event

Das Prager Chess Festival war für viele Schachfans in einem ansonst eher ruhigen Monat im Spitzenschach das Highlight. Das Masters wurde von dem 16-jährigen Wunderkind GM Alireza Firouzja gewonnen, während sich GM Jorden van Foreest den Titel im Challengers sicherte. Die Fans bekamen großartige und dramatische Partien zu sehen.

Chess.com hat täglich vom Prager Chess Festival berichtet. In diesem Bericht fassen wir das Turnier zusammen und analysieren fünf besonders interessante Partien.


1. Firouzja wird erwachsen

"Er hat ein unglaubliches Potenzial", sagte GM Boris Gelfand während der Live-Übertragung der sechsten Runde.

Die große Geschichte des Prager Schachfestivals 2020 ist natürlich Firouzjas erster großer Sieg. Ob es ein Superturnier war oder nicht (dieser Autor möchte mindestens einen Großmeister aus den Top 10 im Turnier haben, um es so zu nennen), das Ergebnis war für einen 16-Jährigen und jemanden, der vor zwei Jahren noch nicht einmal Großmeister war, sehr beeindruckend.

Firouzja zeigt seit einiger Zeit seine Fähigkeiten im Blitz und im Schnellschach sowohl online als auch auf dem Brett und sein zweiter Platz im Jahr 2019 bei der Schnellschach-Weltmeisterschaft untermauerte sein Talent.

Im klassischen Schach sprechen aber auch die Zahlen. Nach GM
Wei Yi seine Teilnahme kurzfristig absagen musste, ist Firouzja in letzter Minute nominiert worden und hat sich promt als zweitjüngste Spieler der Geschichte eine Elo von über 2700 erspielt. Derzeit ist er mit 2726 die Nummer 1 der Junioren-Weltrangliste (Wei ist vor Kurzem aus dieser Liste aus Altersgründen herausgefallen) und schon sein Debüt in der höchsten Gruppe von Wijk aan Zee im letzten Monat war ebenfalls sehr ordentlich: Eine 50-prozentige Punkteausbeute in einem extrem starken Feld.

Firouzja bei seiner Ankunft in Prag

Aber ein Turnier zu gewinnen ist einfach etwas anderes. Es zeigte neben seinem unglaublichen Talent noch etwas anderes: Dass er die Nerven hat, ein Playoff zu gewinnen. Sicher, er hat ein Turnier mit nur einem Ergebnis von Plus Eins in den klassischen Partien gewonnen und GM Vidit Gujrathi war nach seinen unglücklichen Niederlagen in den letzten beiden Runden der psychologische Außenseiter, aber ein Playoff musst du trotzdem erstmal gewinnen.

Aber werfen wir zuerst einen Blick auf seinen Sieg in der dritten Runde gegen GM Pentala Harikrishna. Eine Partie, die dieser Autor bereits mit einigen Siegen von GM Bobby Fischer in der Spanischen Partie verglichen hat. Nachdem der indische Großmeister in der Eröffnung einen strategischen Fehler gemacht hatte, wurde er auf einem Brett voller Leichtfiguren wunderschön überspielt.

Für seinen zweiten Sieg in diesem Turnier gegen GM Jan-Krzysztof Duda gewann Firouzja sogar den von Chess.com gestifteten Preis für die schönste Partie, den wir in unserer ersten Turnierzusammenfassung über den Cairns Cup vorgestellt haben. Dieser Preis wird zu 50 Prozent von den Mitarbeitern von Chess.com und zu 50 Prozent von den Chess.com-Mitgliedern vergeben (auf unserer Webseite fand eine Abstimmung statt).

Firouzja Prague Brilliancy Prize

So einfach es auch klingen mag, aber wenn man ein Schachturnier gewinnen will, sollte man zuallererst nicht verlieren. Es sollte nicht vergessen werden, dass GM David Anton, der letztes Jahr das Challenger-Turnier gewonnen hatte, in diesem Jahr eine große Chance auf den Sieg im Masters hatte. Und so war es für Firouzja extrem wichtig, diese Partie nicht zu verlieren.

Trotz seines Qualitätsopfers im 25. Zug, der seine Kenntnisse dieses Klassikers aufzeigte, stand Firouzja in der letzten Runde gegen Anton mit seiner Königsindischen Verteidigung auf klar verlorenem Posten. Er übte aber ständig Druck auf den weißen König aus und ergriff die erste Chance auf eine Taktik, die ihm gegeben wurde.

So beendeten nicht weniger als fünf Spieler das Turnier mit einem Ergebnis von Plus Eins. Neben Vidit und Firouzja waren das noch Duda, Anton und GM Sam Shankland. In das Playoff kamen aber nur die beiden Spieler mit der besten Feinwertung.

Prag Masters | Abschlusstabelle

# Land Name Elo Leistung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 0 Punkte SB
1 Vidit Gujrathi 2721 2744 1 0 ½ 1 ½ ½ 1 0 ½ 5.0 22.5
2 Alireza Firouzja 2726 2743 0 1 ½ ½ ½ 1 ½ ½ ½ 5.0 22.25
3 Jan-Krzysztof Duda 2755 2741 1 0 ½ ½ ½ ½ ½ 1 ½ 5.0 22
4 David Anton Guijarro 2697 2747 ½ ½ ½ ½ 0 ½ ½ 1 1 5.0 21.25
5 Sam Shankland 2683 2748 0 ½ ½ ½ 1 ½ ½ ½ 1 5.0 21.25
6 Nikita Vitiugov 2731 2705 ½ ½ ½ 1 0 ½ ½ ½ ½ 4.5 20.25
7 Pentala Harikrishna 2713 2707 ½ 0 ½ ½ ½ ½ ½ 1 ½ 4.5 19.75
8 Markus Ragger 2670 2672 0 ½ ½ ½ ½ ½ ½ ½ ½ 4.0 18
9 David Navara 2717 2668 1 ½ 0 0 ½ ½ 0 ½ 1 4.0 17.25
10 Nils Grandelius 2659 2593 ½ ½ ½ 0 0 ½ ½ ½ 0 3.0

Hier ist eine Analyse der ersten Playoff-Partie, die ein sehr interessanter und scharfer Kampf war. Vidit hat gut gespielt, aber mit nur noch wenig Zeit auf seiner Uhr fand er sich plötzlich in einem Mattnetz wieder.

2. Jorden macht einen Sprung

Jorden Van Foreest ist extrem erfolgreich in das Jahr 2020 gestartet. In Wijk aan Zee erzielte er mit 7 von 13 möglichen Punkten den vierten Platz und erbrachte dabei eine Leistung von 2774. Dadurch stieg seine Elo von 2644 auf 2667 und er erreichte zum ersten Mal in seiner Karriere die Top 100 der Weltrangliste (momentan befindet er sich auf Platz 69).

In Prag begann er langsam mit 5 Remis in Folge, aber dann holte er aus den letzten vier Partien 3.5 Punkte. Seine Leistung betrug dieses Mal 2696 und er gewann weitere 4 Elopunkte hinzu.

Jorden van Foreest Prague Challengers
Der 20-jährige Jorden Van Foreest auf dem Weg zu 2700? Foto: Vladimir Jagr/Prague Chess Festival.

Ein Teufelskerl wie Jorden Van Foreest braucht aber keine Pause und so saß er schon zwei Tage später wieder für die SG Solingen in der deutschen Bundesliga am Brett. Er gewann beide Partien und weitere 7.5 Elopunkte. Auf der Elo-Liste vom März wird er mit einer Elo von 2678 erscheinen und er könnte schon bald der vierte holländische Spieler werden, der die 2700 Schallmauer durchbricht. Bis jetzt haben das erst GM Loek van Wely, GM Ivan Sokolov und natürlich GM Anish Giri geschafft.

In der letzten Runde gewann er gegen den bis dahin Führenden und 13-maligen Isländischen Meister GM Hannes Stefansson, der in der gesamten zweiten Hälfte der Partie absolut hilflos wirkte.

Jorden van Foreest wins Prague Challengers
Jorden van Foreest mit seinem Ticket für das Masters im Jahr 2021. Foto: Prague Chess Festival.

Prag Challengers | Abschlusstabelle

# Land Name Elo Leistung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 0 Punkte SB
1 Jorden van Foreest 2667 2696 ½ ½ ½ ½ 1 1 ½ 1 ½ 6.0
2 Nijat Abasov 2670 2655 ½ 1 0 1 ½ ½ ½ ½ 1 5.5 23.75
3 Andrey Esipenko 2654 2656 ½ 0 ½ 1 ½ ½ 1 ½ 1 5.5 22.5
4 Mateusz Bartel 2639 2619 ½ 1 ½ 0 ½ ½ ½ 1 ½ 5.0 21.5
5 Kacper Piorun 2611 2621 ½ 0 0 1 1 ½ ½ ½ 1 5.0 20.75
6 Hannes Stefansson 2529 2630 0 ½ ½ ½ 0 ½ 1 1 1 5.0 18.75
7 Nguyen Thai Dai Van 2560 2588 0 ½ ½ ½ ½ ½ 1 ½ ½ 4.5
8 Lukas Cernousek 2442 2522 ½ ½ 0 ½ ½ 0 0 ½ 1 3.5
9 Jan Krejci 2559 2423 0 ½ ½ 0 ½ 0 ½ ½ 0 2.5 12
10 Tadeas Kriebel 2524 2427 ½ 0 0 ½ 0 0 ½ 0 1 2.5 10.25

3. Vertraue nicht immer der Engine

Das Turnier könnte Vidit ein paar schlaflose Nächte beschert haben. Zwei Runden vor Turnierende stand er schon fast als Turniersieger fest!

In der achten Runde hatte der 25-jährige indische GM schnell eine Gewinnstellung gegen
 David Navara erreicht. Der Lokalmatador spielte kein großartiges Turnier und auch zu Beginn dieser Runde unterliefen ihm einige Fehler. Nach Vidits genialer Kombination 15.Lxf7+ und 16.e6 stand Navaras König im Freien und die Engine zeigte plus zwei für Weiß an. Damit war die Partie gelaufen, oder?

Der Gelegenheitsfan lässt hier jedoch möglicherweise einige wichtige Faktoren außer Acht. Zum einen hatte Vidit mehr als eine Stunde auf der Uhr verbraucht, um diese Stellung zu erreichen. Zum anderen hatte Weiß immer wieder sehr viele Züge zur Auswahl, die allesamt stark aussahen.

Vidit vs Navara Prague
Vidit gegen Navara. Foto: Prague Chess Festival.

Nachdem er 17 Minuten über seinen 17. Zug und weitere 6,5 Minuten über seinen 19. Zug nachgedacht hatte, hatte Vidit für seine nächsten 20 Züge noch etwa eine halbe Stunde Bedenkzeit übrig. Er entschied sich für ein vielversprechendes Endspiel, was laut der Engine, die weiter auf Angriff gespielt hätte, aber ein Fehler war.

Aber war es ein Fehler? Vidit führte das Turnier mit einem Punkt Vorsprung an. Er hatte eine Figur geopfert und sah ein risikofreies Endspiel. Es war eine vernünftige Entscheidung, die mehr oder weniger durch die Tatsache bestätigt wurde, dass er schon bald wieder vollständig auf Gewinn stand.

Mit vier Sekunden auf der Uhr vergaß er jedoch, ein Turmschach zu geben und danach war alles anders. Plötzlich hatte Navara wieder Chancen auf ein Remis! Und dann kam es noch schlimmer und am Ende konnte Navara die Partie gewinnen.

Und was ist erst mit GM Nikita Vitiugovs Endspiel gegen Duda? Laut der Tablebase war die Partie gewonnen, aber auch hier waren die Dinge komplizierter, als sie zu sein schienen.

Schach ist einfach schwieriger, als es aussieht.

Nikita Vitiugov trauert seiner vergebenen Chance hinterher

4. Du darfst den Glauben nicht verlieren

Shankland beendete das Turnier ebenfalls mit Plus Eins, aber irgendwie fand er nur wenig Beachtung. Für ihn persönlich war es aber ein moralischer Sieg mit dem er eine schlechte Phase in seinem Leben beendete.

Auf Facebook und in einem Blog auf unserer Seite schreibt er, dass er sein Leben endlich wieder auf die Reihe gebracht hat, nachdem er die schwierigste Phase seines Erwachsenenlebens durchlaufen musste.

Letztes Jahr verpasste er nur knapp die Qualifikation für den FIDE Grand Prix. Dann aber bekamen zuerst seine Eltern gesundheitliche Probleme und schließlich durchtrennte eine dicke Glasscherbe eines zerbrochenen Pyrex-Behälters die Beugesehnen seiner linken Hand und noch zwei Monate nach der Operation konnte er vor Schmerzen kaum schlafen.

Sam Shankland Prague Masters 2020
Shankland mit Markus Ragger, David Navara und Pentala Harikrishna. Foto: Petr Vrabec/Prague Chess Festival.

Jetzt ist Shankland aber wieder zurück:

"2019 hat mir das Herz gebrochen. Aber jetzt ist ein neues Jahr. (...) Ich habe endlich ein anständiges Turnier gespielt, bei dem ich ein gewisses Maß an Stärke gezeigt habe. Meine Tiebreak-Rechnung ist nicht aufgegangen, aber ich zähle das trotzdem als Turniersieg und vor allem als persönlichen Sieg. Ich kann nur hoffen, dass sich dieser positive Trend jetzt fortsetzt."

Hier ist Shanklands Sieg der letzten Runde:

5. Die Mischung machts

Während des Prager Chess Festivals machte die Nachricht die Runde, dass alle eingeladenen Spieler die Einladung zur Grand Chess Tour angenommen haben. Während sich jetzt viele Fans auf eine weitere Reihe von Turnieren freuen, bei denen sich die besten Großmeister der Welt gegenüberstehen, beklagten sich einige Fans darüber, dass wir immer wieder dieselben Gesichter zu Gesicht bekommen.

Round 7 Prague Chess Masters
Eine Mischung aus verschiedenen Spielern in Prag. Foto: Petr Vrabec/Prague Chess Festival.

Eine der Hauptattraktionen des Tata Steel-Schachturniers war schon immer das vielfältige Feld (insbesondere in der Challengers-Gruppe) und Prag kann zur Duplikation dieses Formats nur gratuliert werden. Lokalen Talenten die Möglichkeit zu geben, sich mit starken internationalen Großmeistern zu messen, ist ein würdiges Ziel für eine Veranstaltung und Spieler unterschiedlichen Alters und Niveaus einzuladen, führt hoffentlich noch zu vielen Nachahmern.

6. Die Veranstalter wissen, was sie machen

Das Turnier in Prag war im wahrsten Sinne des Wortes ein Schachfestival. Während die meisten Fans nur die Masters- und Challengers-Turniere verfolgten, gab es noch eine große Anzahl von Nebenveranstaltungen, die dieses Festival zu etwas ganz Besonderem machten.

Neben einer Futures-Gruppe (mit vielversprechenden Jugendlichen), einem offenen, einem Schnellschach und einem Blitz-Turnier gab es auch eine Ausstellung über das internationale Turnier in Prag von 1990, einen Vortrag des Direktors der Vaclav Havel Bibliothek und des tschechischen Großmeisters Lubomir Kavalek, einen Kindertag, eine Simultanveranstaltung von Boris Gelfand und ein Filmfestival.

Tweets über die Ausstellung des internationalen Turniers von Prag von 1990, den Kindertag und die Simultanveranstaltung von Boris Gelfand

Darüber hinaus haben die Prager Organisatoren einige Traditionen wieder eingeführt, die nicht einmal mehr in Wijk aan Zee gepflegt werden: einen täglichen Preis für die beste Partie des Tages und eine tägliche Taktikaufgabe von IM Yochanan Afek.

Es ist wunderbar zu sehen, dass die Liebe zum Schachspiel immer noch neue, erstaunliche Festivals hervorbringt (dies war erst die zweite Ausgabe), die Fans jeden Alters genießen können.

Das Prager Schachfestival hatte einen Preisfonds von 44.000 Euro und fand vom 12. bis 21. Februar im Hotel Don Giovanni in Prag statt.


Weitere Berichte über das Prager Chess Festival (alle auf englisch):

PeterDoggers
Peter Doggers

Peter Doggers joined a chess club a month before turning 15 and still plays for it. He used to be an active tournament player and holds two IM norms. Peter has a Master of Arts degree in Dutch Language & Literature. He briefly worked at New in Chess, then as a Dutch teacher and then in a project for improving safety and security in Amsterdam schools. Between 2007 and 2013 Peter was running ChessVibes, a major source for chess news and videos acquired by Chess.com in October 2013. As our Director News & Events, Peter writes many of our news reports. In the summer of 2022, The Guardian’s Leonard Barden described him as “widely regarded as the world’s best chess journalist.”

Peter's first book The Chess Revolution is out now!

Company Contact and News Accreditation: 

Email: [email protected] FOR SUPPORT PLEASE USE chess.com/support!
Phone: 1 (800) 318-2827
Address: 877 E 1200 S #970397, Orem, UT 84097

Mehr von PeterDoggers
Vachier-Lagrave erreicht Grand Final der Division I. Carlsen und Nepomniachtchi treffen erneut aufeinander

Vachier-Lagrave erreicht Grand Final der Division I. Carlsen und Nepomniachtchi treffen erneut aufeinander

Niemann sichert Gelder für 1-Millionen-Dollar-Buy-In-Turnier

Niemann sichert Gelder für 1-Millionen-Dollar-Buy-In-Turnier