FIDE Kandidatenturnier 2020: Vachier-Lagrave vergibt eine große Chance
Die vierte Runde des FIDE Kandidatenturniers in Jekaterinburg endete mit 4 Remis. GM Maxime Vachier-Lagrave verpasste aber gegen GM Alexander Grischuk die goldene Chance, die alleinige Führung zu übernehmen. Das Remis reichte dem Franzosen aber, um die Tabelle weiterhin mit Ian Nepomniachtchi und Wang Hao anzuführen.
Ihr könnt das FIDE Kandidatenturnier täglich ab 12.00 Uhr mit Kommentaren von IM Steve Berger live auf Chess.com/de/TV ansehen. Die fünfte Runde wird am Sonntag, den 22. März gespielt. Die Partien könnt Ihr hier auf Chess.com/events ansehen. Alle Informationen über das Kandidatenturnier findet Ihr in diesem Artikel.
Die Übertragung der vierten Runde in voller Länge..
"Eine der Todsünden" nannte es GM Viswanthan Anand in der Live-Übertragung von Chess.com: Schnell zu Spielen, wenn der Gegner in Zeitnot ist. Es ist eine Sünde, die wir alle manchmal in unseren eigenen Partien begehen und die Vachier-Lagrave heute einen halben Punkt gekostet haben könnte.
In einem äußerst taktischen Berliner Endspiel war Grischuks Zeitnachteil noch dramatischer als in den vorherigen Runden. Bei Zug 26 hatte er nur noch 2,5 Minuten Zeit und wenn man die 30 Sekunden Bonus für jeden Zug dazurechnet hatte der russische GM insgesamt 9,5 Minuten Zeit, um 14 Züge zu machen und die Zeitkontrolle zu erreichen.
In dieser Phase schlug Grischuk einen vergifteten Bauern, was ihm die ganze Partie kosten hätte können. Die Bewertung der Engine stieg auf fast plus drei, aber MVL, der noch etwa eine Stunde auf der Uhr hatte, gab ein falsches Schach und verspielte damit seinen Vorteil.
Der Gewinnzug wäre 30.Te4! gewesen und das ist wirklich nicht leicht zu sehen. Wie GM Dejan Bojkov in seiner Analyse aufzeigt, ist die Idee hinter dem Zug 30...b5 31.Txc4!! bxc4 32.Txf7+ Ke8 33.Txc7 und Weiß hat eine dominante und gewonnene Stellung:
Stattdessen gab Vachier-Lagrave zuerst das Läuferschach 30.La3+ und nahm sich dadurch die Möglichkeit, das in einigen Varianten wichtige Läuferschach auf g5 zu geben. Dadurch hatte Grischuk das schlimmste überstanden und schaffte es zur Zeitkontrolle. Das dann entstandene Turmendspiel spielten die Spieler zu Ende, bis nur noch die beiden Könige auf dem Brett waren.
"Ich hatte einfach vergessen, dass Te4xc4 eine Drohung war," sagte MVL, als er auf seine vergebene Chance angesprochen wurde. "Ja. Das hätte wahrscheinlich vielversprechender ausgesehen."
Das Seltsame war, dass Grischuk 53 (!) Minuten für seinen 18. Zug verbrauchte, obwohl dies immer noch eine theoretische Stellung war, die z.B. 2019 in Zagreb bei der Partie Giri gegen Nakamura auf dem Brett war.
#FIDECandidates Sasha!!Wake up please!
— Rauf Mamedov (@muisback88) March 21, 2020
Hätte Grischuk diesen Tweet von Mamedov gelesen, wäre er sicher aufgewacht...
"Wie schon in der Partie gegen Alekseenko habe ich wieder eine sehr dumme Sache gemacht und fast eine Stunde lang an 18...Se7 gedacht, sagte er danach. "Ich war zu 100 Prozent, nicht zu 99, sondern wirklich zu 100 Prozent sicher, dass Maxime 19.g4 spielen würde. Und dann spielte er 19.h4 und schon hatte ich eine Stunde weniger auf der Uhr. Aber am Ende war es aber vielleicht nicht so wichtig, weil ich diese Stunde sowieso irgendwo verbraten hätte!
Vielleicht vergaß Vachier-Lagrave für einen kurzen Moment, gegen wen er spielte, als er nach nur 2,5 Minuten Nachdenken 30.La3+ spielte. Nach der Partie sagte er:
"Gegen jeden anderen Gegner als Sasha hätte ich erwartet, dass er mit weniger als einer Minute auf der Uhr einen Fehler macht, aber jeder anderer Spieler würde seine Uhr auch nicht auf eine Minute herunterticken lassen!"
GM Fabiano Caruana zeigte erneut eine hervorragende Vorbereitung, die ihm letztendlich nur sehr wenig einbrachte. Nepomniachtchi gab zu, bei der Eröffnung überrascht gewesen und schlechter gestanden zu sein, aber nach einem nachlässigen Zug des amerikanischen Großmeisters spielte "Nepo" auf zwei Ergebnisse.
Caruana, der die Stellung seit 10 Jahren nicht gespielt hat, stand in der Hauptvariante im Grünfeld nach Zug 10 vor einer bekannten Tabia.
Hier hat Schwarz eine große Anzahl an spielbaren Zügen zur Auswahl und muss seine Absichten offenlegen. Nepomniachtchi entschied sich für 10...b6. Er hatte diese Stellung in seiner Karriere bereits 15 Mal auf dem Brett gehabt, aber nur bei den Moskau Open 2015 gegen GM Artyom Timofeev hat er sich für diesen Zug entschieden.
"Die ganze Variante ist für Schwarz sehr solide, erfordert aber, insbesondere ab dem 20. Zug, ein gutes Gedächtnis", sagte Nepomniachtchi. "Natürlich habe ich diese bestimmte Variante vor der Partie nicht wiederholt und OK, es war eine Art Überraschung. Ich kannte die allgemeinen Ideen, aber vielleicht habe ich auch falsch gespielt. Diese Partie ist wahrscheinlich ein gutes Beispiel dafür, warum man immer auf dem neuesten Stand sein sollte und seine Varianten im Kopf haben muss. Was ich gespielt habe, sieht irgendwie sehr verdächtig aus."
Er einst (als die heutigen Super-Großmeister noch Kinder waren!) von GM Jonathan Rowson "Delroy" genannte d-Bauer war Caruanas typischer Trumpf, besonders wenn er seinen Vormarsch mit einem Läufer auf f4 unterstützen hätte können.
Außerdem hatte er es geschafft, seinen h-Bauern auf h6 zu bringen, was in vielen Varianten Schachmatt-Ideen ermöglicht. Es war verlockend, diesen h2-h4-h5-h6 Vorstoß als Idee von AlphaZero zu bezeichnen (und das ist es auch), aber es sollte beachtet werden, dass schon GM Vlastimil Hort 1988 gegen GM Maia Chiburdanidze diese Idee hatte.
Caruana über den kritischen Moment im 30. Zug: "Ich dachte, ich hätte irgendwie einen sehr starken Druck, aber nachdem Ian 29...Kf8 gespielt hatte, sah ich nichts. Ich war ein bisschen enttäuscht, dass ich nach 30. Dd4 Ke7 einfach keine Idee finden konnte, um auf einen Sieg zu spielen und am Ende spielte ich einen sehr nachlässigen Zug. Zumindest hätte ich etwas anderes als 30.Df3 ausprobieren sollen. 30...De1+! habe ich einfach übersehen und danach muss ich schon um das Remis kämpfen."
Da wir gerade von AlphaZero und dem Vorstoß des h-Bauern sprechen: Das war auch das Thema der Partie GM Ding Liren gegen GM Anish Giri, in der der Hölländer den Zug 15...h5!? spielte. Seine Absicht war, bis nach h3 durchzulaufen und einen ähnlichen Bauern wie Caruana zu erhalten.
"Seine Idee 15…h5 war sehr stark," sagte Ding. "Ich wusste nicht genau, wie ich damit umgehen sollte."
Der chinesische Großmeister beschloss, seinen Springer auf f4 zu manövrieren, h3 zu kontrollieren und zu verhindern, dass der schwarze Bauer dorthin gelangt. "Wenn ich 18.Sd4 spiele, ist der Bauer auf h3 eine sehr große Bedrohung für mich und der Angriff kann sehr gefährlich werden. Deshalb habe ich den sichereren Zug 18.Sf4 gespielt, aber danach ist mein Vorteil nur noch gering und ein Remis die logische Konsequenz."
Giri hatte die Bogo-Indische Eröffnung erst einmal zuvor gespielt. Das war 2011 in Dortmund:
"Um ehrlich zu sein, erinnere ich mich nur, dass der Computer sagte, es sei sehr gut für Schwarz gewesen. Also habe ich versucht zu verstehen, warum. Ich habe versucht den Bauern auf h3 zu bringen, aber ich habe es nicht geschafft. In der Partie war ein bisschen weniger AlphaZero am Brett als in den AlphaZero-Partien, weil ich im Grunde genommen den Bauern nur getauscht und mir die Optionen ...Sg4 und ...Dh6 offengehalten habe, was ihm ein bisschen Angst gemacht hat und ihn am Damenflügel vorsichtiger spielen ließ."
"In gewisser Weise war es also sinnvoll, den h-Bauern zu pushen, aber nicht so, wie ich es mir vor der Partie gewünscht hatte. Ich hatte gehofft, den Bauern auf h3 zu bekommen und dann irgendwas nach vorne zu werfen. Dann den d-Bauern mit ...d4 zu opfern und dann wie AlphaZero auf g2 Matt zu setzen. Im Grunde genommen habe ich aber so gespielt, dass ich nur in ein etwas schlechteres Endspiel komme, das aber ein Remis ist."
GM Kirill Alekseenko spielt bis jetzt ein gutes Turnier. Gegen Wang stand er zwar nach einem schlechten Zug (der sogar eine Neuerung war) unter Druck, konnte diesem aber standhalten.
"Bis er den seltsamen Zug 13...Ta6 gespielt hatte, war die Stellung ausgeglichen", sagte der chinesische Großmeister. "Dort hätte ich wahrscheinlich einen kleinen Vorteil erzielen können, aber ich glaube, dass ich zu soft gespielt und es deshalb nicht geschafft habe, einen Vorteil zu bekommen."
Alekseenko: "Ja. Ich habe diesen unglaublich schlechten Zug 13...Ta6 gespielt. Zuerst stand ich solide, aber nach 13...Ta6 stand ich definitiv schlechter und ich musste viele konkrete Züge finden, um meine Stellung zu halten."
WGM Anna Burtasova von der FIDE stellte den beiden Spielern dann noch eine interessante Frage: Welcher Spieler der Vergangenheit hat Euer Schach am meisten beeinflusst?
Wang wählte GM Vladimir Kramnik. "Wegen seinem Positionsspiel und seiner Vorbereitung."
Alekseenko nannte GM Garry Kasparov. "Ich versuche so hart und direkt wie er zu spielen."
Tabelle nach Runde 4
# | Land | Name | Elo | Leistung | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | Punkte | SB |
1-3 | Ian Nepomniachtchi | 2774 | 2858 | ½ | ½ | 1 | ½ | 2.5 | 4.25 | |||||
1-3 | Maxime Vachier-Lagrave | 2767 | 2885 | ½ | ½ | 1 | ½ | 2.5 | 4.25 | |||||
1-3 | Wang Hao | 2762 | 2849 | ½ | 1 | ½ | ½ | 2.5 | 4 | |||||
4 | Fabiano Caruana | 2842 | 2761 | ½ | ½ | 0 | 1 | 2.0 | 4 | |||||
5 | Alexander Grischuk | 2777 | 2751 | ½ | ½ | ½ | ½ | 2.0 | 4.5 | |||||
6 | Ding Liren | 2805 | 2695 | 0 | 0 | 1 | ½ | 1.5 | 2.75 | |||||
7-8 | Anish Giri | 2763 | 2765 | 0 | ½ | ½ | ½ | 1.5 | 3.25 | |||||
7-8 | Kirill Alekseenko | 2698 | 2624 | ½ | ½ | 0 | ½ | 1.5 | 3.5 |
Die Paarungen der 5. Runde lauten: Giri-Caruana, Grischuk-Ding, Alekseenko-Vachier-Lagrave, Nepomniachtchi-Wang. Den gesamten Spielplan findet Ihr hier.
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