FIDE WM Partie 10: Carlsen benötigt nach einem Remis nur noch einen Sieg zum Titelgewinn
Mit dem bisher schnellsten Remis dieser WM hat Magnus Carlsen seinen 3 Punkte Vorsprung bei der FIDE Schachweltmeisterschaft 2021 verteidigt. Nach nur etwas mehr als 2 Stunden Spielzeit hatte er sich den Punkt mit seinen Herausforderer Ian Nepomniachtchi geteilt. Die elfte Runde beginnt am Freitag um 13.30 Uhr.
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Abgerechnet wird zwar erst am Schluss, aber es sieht so aus, als würden diesem mit großen Schritten näherkommen. Nach einem schnellen Remis in einer weiteren russischen Verteidigung von Nepo ist Carlsen nur noch einen Punkt davon entfernt, seine fünfte Weltmeisterschaft zu gewinnen. Der allgemeine Konsens ist, dass Nepomniachtchi am Freitag mit Weiß alles riskieren muss und wenn etwas schiefgeht, könnte es schon die letzte Partie dieser Meisterschaft gewesen sein.
Genau das hat Nepo auch vor: "Natürlich werde ich versuchen, in der nächsten Partie mit Weiß zu pushen", sagte er zu Chess.com Reporter Mike Klein in einem kurzen Interview direkt nach der Partie.
Und warum hat er nicht schon heute alles riskiert? "Es war in erster Linie wichtig, eine normale Partie ohne Fehler zu spielen", sagte Nepo. "Der Hauptplan war, heute nichts Dummes zu tun."
The main plan was not to do something stupid today.
—Ian Nepomniachtchi
Nepomniachtchis Entscheidung, 1...e5 zu spielen, war eine kleine Überraschung, da viele Experten der Meinung waren, dass die heutige Partie bereits stärkere Maßnahmen wie den Sizilianer erforderte. Fabiano Caruana drückte es so aus: "Nach 1.e4 e5 hat Weiß eine Million Möglichkeiten, ein Remis zu erzwingen."
Doch schon im zweiten Zug zeigte sich, dass auch der Herausforderer nichts gegen ein Remis einzuwenden hatte. Er entschied sich wieder für die Russische Verteidigung, was Carlsen nicht erwartet hatte.
"Ehrlich gesagt hatte ich heute überhaupt nicht damit gerechnet, dass er die Russische Verteidigung spielt. Ich habe mit verschiedenen scharfen Eröffnungen, die er spielen konnte, gerechnet und mir nur gedacht, wenn er 1...e5 spielt, werde ich sehen. Ich dachte nicht, dass es ein großes Problem sein würde, gegen die Russische Verteidigung ein Remis zu machen."
I didn't think making a draw against the Petroff would be a major issue.
—Magnus Carlsen
Warum also hat Schwarz nicht etwas Schärferes gespielt? "Das Problem ist, dass man im Grunde genommen mit Schwarz keine so große Auswahl hat", argumentierte Nepomniachtchi. "Vor allem im klassischen Schach. Selbst wenn man eine sogenannte scharfe Eröffnung wie den Sizilianer spielt, wird Weiß die Eröffnung entschärfen, wenn er sie entschärfen will."
In der Chess.com Übertragung wies Robert Hess darauf hin, dass es für Carlsen angesichts der Spielsituation sehr sinnvoll war, mit einem schnellen De2+ eine Remisvariante anzustreben, und genau das geschah. Nach 4.Sd3, einem Zug, den Carlsen schon in der letzten Weltmeisterschaft gegen Caruana gespielt hatte (es folgte ein Remis nach 80 Zügen), folgte 4...Sxe4 5.De2+ De7 und bald darauf verließen die Damen das Brett.
Die Stellung nach 5...De7.
Genau das wollte Carlsen heute haben. Seine Motivation für die Variante mit 4.Sd3? "Vor allem die Aussichten, die Damen sehr bald loszuwerden und eine trockene Stellung zu bekommen", sagte er.
Er mag zwar dafür bekannt sein, fast immer auf Sieg zu spielen, aber selbst für Carlsen gibt es Situationen, in denen er mit Weiß nur ein Remis will. "In meinem Team gab es einige Diskussionen", verriet er auf der Pressekonferenz, "aber ich habe definitiv nicht auf etwas anderes, sagen wir, auf einen anderen Ansatz, gedrängt."
Im sechsten Zug wich Nepomniachtchi von dieser Carlsen-Caruana-Partie ab, indem er seinen Königsspringer sofort wieder auf f6 zog (anstatt seinen Damenspringer zu entwickeln), was die sicherste Wahl zu sein schien. Als er einen Zug später ...Sc6 spielte, erwies sich dies als theoretische Neuerung und Carlsen dachte 19 Minuten lang über seinen achten Zug nach.
Die Stellung nach 7...Sc6(N).
Hier hofften die Chess.com Kommentatoren auf 8.Le3, was den Damentausch vermieden und zu ziemlich scharfen Stellungen hätte führen können, aber Carlsen entschied sich für das Endspiel - oder das Damenlose Mittelspiel, wenn man so will.
Nepomniachtchi nannte es einen "wichtigen Moment“ in der Partie und bemerkte, dass 8.Le3 „die Dinge ein wenig aufgepeppt hätte“.
"7...Sc6 war für mich eine etwas überraschende Zugreihenfolge", sagte Carlsen danach. "8.Le3 ist dort ein Zug und sicherlich der kritische, aber ich hatte einfach keine Lust dazu. Ich denke, die Spielsituation erklärt das auch irgendwie."
Als er 17.g3 gespielt hatte, war der Weltmeister noch optimistisch, weil er auf eine Chance hoffte, einer seiner typischen, endlosen Druckstellungen erreichen zu können.
Nachdem die Spieler all ihre verbliebenen Figuren auf optimale Feldern manövriert hatten, stellte sich aber heraus, dass Nepomniachtchi bereit war, diese Art von Stellung zu spielen. Er fuhr sehr genau fort, besonders mit seinem 19. Zug, und neutralisierte jeden leichten Vorteil, den Weiß noch gehabt haben könnte.
Dabei blieb der Herausforderer auch viel mehr am Brett, als in den vorherigen Partien. Darauf angesprochen meinte er: "Der Stuhl war heute bequemer als das Sofa" und fügte hinzu: "In der heutigen Partie war mehr oder weniger klar, dass es nicht allzu lange dauern wird und dann macht es keinen großen Unterschied, wo man sitzt."
Unser Analyst Sam Shankland fasste die Partie so zusammen: "Die zehnte Partie war nur insofern interessant, als sie einige der Prioritäten und Vorlieben der Spieler zeigte – die Partie selbst war ein absolutes Schnarchfestival. Magnus entschied sich vorhersehbar für 1.e4, was in einer Partie, in der ein Remis ein sehr willkommenes Ergebnis ist, sicherlich der beste Zug ist."
Zwischenstand
Land | Name | Elo | 01 | 02 | 03 | 04 | 05 | 06 | 07 | 08 | 09 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | Punkte |
Magnus Carlsen | 2855 | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | 1 | ½ | 1 | 1 | ½ | . | . | . | . | 6½ | |
Ian Nepomniachtchi | 2782 | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | 0 | ½ | 0 | 0 | ½ | . | . | . | . | 3½ |
Carlsen gab zu, dass er heute einfach nur glücklich war, seinem Konto einen halben Punkt hinzugefügt zu haben und sagte: "Es sind nur noch so wenige Partien zu spielen, dass jedes Remis ein ausgezeichnetes Ergebnis ist. Ich meine, ich gehe davon aus, dass er noch etwas versuchen wird. Vor allem mit Weiß. Aber jeder halbe Punkt, den ich mir sichern kann, ist für mich großartig und ich denke, das war heute ziemlich offensichtlich."
Bei der Pressekonferenz stellte Schachstreamerin WFM Anna Cramling (ja, das ist die Tochter von GM Pia Cramling) eine Frage und es scheint, als hätte sie Carlsen gefallen. Die Frage war: Wenn Sie für den Rest Ihres Lebens nur noch 1.e4 oder 1.d4 spielen könnten, welchen der beiden Züge würden Sie wählen und warum? Die Antwort des Weltmeisters:
"Das ist doch mal eine andere Frage. Danke! Ich würde wahrscheinlich 1.e4 wählen. Es scheint dort sowohl in geschlossenen als auch in offenen Partien etwas mehr Abwechslung zu geben, aber ansonsten denke ich, dass es schon so viel Eröffnungstheorie gibt und des sowieso schon schwierig genug ist, einen Eröffnungsvorteil zu erzielen, dass es ein Albtraum wäre, auf nur einen Zug beschränkt zu sein."
Nepomniachtchi: "Ich glaube Rauzer hat vor etwa hundert Jahren gesagt, dass Weiß nur nach 1.e4 gewinnen kann. Seitdem hat sich zwar einiges verändert, aber ja, im Allgemeinen fühlt es sich so an, als ob 1.e4 heutzutage zwingender ist. Und gleichzeitig macht es auch mehr Spaß macht, also lass es 1.e4 sein."
Während der Partie veröffentlichte die FIDE die Nachricht, dass die FIDE-Schnellschach- und Blitzweltmeisterschaften im Dezember aufgrund neuer COVID-19-Beschränkungen in Kasachstan nicht wie geplant dort stattfinden können. Der Internationale Schachverband prüft derzeit alternative Austragungsorte und wird gegen Ende der Woche ein Update zu veröffentlichen.
Nepomniachtchi bemerkte, dass dies "die Realität ist, in der wir leben", und wies darauf hin, dass er sich noch nicht entschieden hat, ob er dort spielen wird. Carlsen hofft, dass die Veranstaltung stattfindet und plant, zu spielen. Auf die Frage, wie prestigeträchtig die Schnellschach- und Blitztitel sind, sagte er:
"Man kann sie in dem Sinne vergleichen, dass der Klassische-Titel nur alle zwei Jahre ausgespielt wird und die Titel im Schnell- und Blitzschach jedes Jahr. Ich denke, das beantwortet die Frage. Ich freue mich aber über die Bemühungen, die in den letzten Jahren unternommen wurden, um eine Schnell- und Blitzschachweltmeisterschaft zu organisieren. Das ist sicherlich ein Höhepunkt im Schachkalender und natürlich ist der Titel auch sehr prestigeträchtig."
Während Carlsen seine letzten beiden Weltmeisterschaften im klassischen Schach ja im Schnellschach-Playoff gewann, ist dieses Szenario bei dieser WM weit weniger wahrscheinlich. Dank eines weiteren Ruhetags am Donnerstag hat Nepomniachtchi anderthalb Tage Zeit, um sich auszuruhen und sich auf eine Partie vorzubereiten, bei der nur ein Sieg zählt. Und wenn ihm dieser Sieg gelingt, muss er das zweimal wiederholen. Gegen den besten Spieler der Welt. Allen Widrigkeiten zum Trotz.
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Weitere Berichte von der WM:
- FIDE World Championship Officially Opened After Press Conference Clash Of Frenemies (englisch)
- Carlsen-Nepomniachtchi: Das sagen die Experten
- Der Champion: Magnus Carlsen
- Der Herausforderer: Ian Nepomniachtchi
- Alle Weltmeister (englisch)
- Die FIDE Schach-WM 2021: Alle Informationen
- Partie 1 - Nepo mit Weiß - Spanische Eröffnung - Remis
- Partie 2 - Carlsen mit Weiß - Katalanische Eröffnung - Remis
- Partie 3 - Nepo mit Weiß - Spanische Eröffnung - Remis
- Partie 4 - Carlsen mit Weiß - Russische Verteidigung - Remis
- Partie 5 - Nepo mit Weiß - Spanische Eröffnung - Remis
- Partie 6 - Carlsen mit Weiß - Katalanische Eröffnung - Carlsen gewinnt
- Partie 7 - Nepo mit Weiß - Spanische Eröffnung - Remis
- Partie 8 - Carlsen mit Weiß - Russische Verteidigung - Carlsen gewinnt
- Partie 9 - Nepo mit Weiß - Englische Eröffnung - Carlsen gewinnt