FIDE WM Partie 4: Nepo erreicht mit der russischen Verteidigung ein Remis
Nach dem vierten Remis in Folge steht es bei der FIDE WM zwischen Magnus Carlsen und Ian Nepomniachtchi 2:2 Unentschieden. Hat der Herausforderer damit den Zug 1.e4 in diesem Match widerlegt? Es ist noch zu früh, um das zu sagen, aber seine Vorbereitung und genaue Reaktion auf eine nette Idee von Carlsen in der Eröffnung bescherten dem Herausforderer ein komfortables Remis. Die fünfte Partie beginnt am Mittwoch um 13:30 Uhr.
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Die Chess.com Kommentatoren Fabiano Caruana, Robert Hess und Daniel Rensch sagten für heute alle einen Sieg von Carlsen voraus, aber da war wohl doch der Wunsch der Vater des Gedankens. An seinem 31. Geburtstag, bekam Carlsen kein Geburtstagsgeschenk von Nepomniachtchi. Zumindest nicht am Brett, denn der Russe sicherte sich das bisher problemloseste Remis dieser WM.
Carlsen spielte heute das zweite Mal mit Weiß und wich schon im ersten Zug von seiner ersten Weißpartie ab. Nachdem der Champion am Samstag noch 1.d4 und Katalanisch gespielt hatte, wechselte er in dieser Partie zu dem Zug, den Nepomniachtchi ebenfalls schon zweimal versucht hatte: 1.e4. Und nachdem der Herausforderer in der ersten Partie schon auf sein übliches Grünfeld verzichtet hatte, wählte er auch diesmal keine scharfe Eröffnung wie das Najdorf – was er oft spielt – sondern stattdessen die solide Russische Verteidigung.
Es war zwar eine Überraschung, dass wir diese Eröffnung, die ursprünglich Mitte des 19. Jahrhunderts von Alexander Petroff aus Russland populär gemacht wurde (daher in einigen Sprachen auch "Petroff Verteidigung" genannt), bei dieser WM zu sehen bekommen, aber keine große.
Einerseits hatte Nepomniachtchi diese Eröffnung in seiner langen Karriere erst in zwei Turnierpartien gespielt. Eine davon war jedoch im April dieses Jahres beim FIDE-Kandidatenturnier im April gegen Wang Hao. Andererseits hat er diese Partie und das Turnier gewonnen und sich dadurch für diese Weltmeisterschaft qualifiziert.
"Ich denke, er war nicht besonders überrascht", sagte Nepomniachtchi nach der Partie. "Er wählte eine sehr lange und forcierte Variante, was für alle Petroff-Spieler bedeutet, dass sie damit besser vertraut sein sollten."
Carlsen: "Nein, es war eine der Haupteröffnungen, die ich erwartet hatte, da er sie schon beim Kandidatenturnier gespielt hat und auch in der ersten Partie mit Schwarz einen eher klassischen als einen scharfen Ansatz gewählt hat." Ich konnte natürlich nicht wissen, für welche Petroff-Variante er sich entscheiden würde, aber die Russische Verteidigung an sich habe ich definitiv erwartet."
The Petroff in itself was very much expected."
—Magnus Carlsen
Caruana, der gegen Carlsen 2018 zweimal mit der russischen Verteidigung Remis gespielt hatte, sagte: "Ich dachte, dass es für Ian am logischsten wäre, die Berliner Verteidigung zu spielen. Das scheint mir die für ihn natürlichste Entscheidung zu sein. Aber, dass er sich für die Russische Verteidigung entschieden hat, ist interessant. Damit habe ich wirklich nicht gerechnet."
Die Russische Verteidigung wurde bis jetzt 14 Mal in WM-Partien gespielt. Zweimal gewann Weiß (Karpov-Korchnoi 1981 und Kasparov-Karpov 1985), einmal Schwarz (Leko-Kramnik, 2004) und 11 Partien endeten Remis.
Carlsen hat es vielleicht nicht als die wahrscheinlichste Verteidigung gegen 1.e4 angesehen, aber er hat sie sicherlich berücksichtigt, denn er hat sich sehr schnell für den Zug 5.d4 entschieden, obwohl seit Jahren 5.Sc3 als Hauptvariante gilt.
Nach 15 Zügen folgten die Spieler immer noch der Partie Vachier-Lagrave gegen Caruana(!) vom Norway Chess Turnier 2017. Warum Carlsen sich dafür entschied hatte, wurde klar, als er die atemberaubende Neuerung 18.Sh4!? spielte.
"18.Sh4 ist fazsinierend," sagte Caruana. "Ich habe diesen Zug nicht gekannt und er ist wahrscheinlich eine ausgezeichnete Idee von Magnus."
Die Stellung nach 18.Sh4.
Nepomniachtchi nannte 18.Sh4 "einen interessanten Versuch" und fügte hinzu: "Vielleicht werde ich das eines Tages mit Weiß selbst versuchen!"
Eine der Ideen des Zuges besteht darin, den Springer über g2 nach f4 oder e3 zu manövrieren und den isolierten schwarzen Bauern auf d5 anzugreifen. Dafür musste als Nächstes das Feld g2 freigeräumt werden und Carlsens Zug 19.g4, das diesen Plan plötzlich ganz konkret machte, wurde von den Experten gelobt.
"Das ist wunderbares Zeugs", sagte Caruana, der erklärte, dass der doppelte Bauernvorstoß Weiß die zusätzliche Möglichkeit gibt, irgendwann in der Partie g4-g5 zu spielen, besonders wenn Schwarz seinen d-Bauern mit Sf6 verteidigen würde.
Doch gerade als Kommentatoren und Fans begannen, aufgeregt zu werden, gab es in der Partie nach dem Zug 22.Lf4 ein paar Abtäusche – gespielt nach drei Minuten - Carlsens längstem Nachdenken bis zu diesem Zeitpunkt. Damit könnte der Norweger zwar einen Turm und einen Springer direkt vor dem schwarzen König platzieren und es sah auf den ersten Blick so aus, als könnte Weiß eine Art Mattnetz spinnen, aber objektiv gesehen stand Schwarz immer in Ordnung.
Ungefähr zu dieser Zeit interviewte FM Mike Klein von Chess.com einen von Nepos Sekundanten: Vladimir Potkin. Der russische Trainer, der sowohl zur schachlichen als auch zur psychologischen Unterstützung vor Ort ist, gab zwar keine weiteren Namen von Nepos Team bekannt, gab jedoch zu, dass einige der Mitglieder von zu Hause aus arbeiten, wie es bei den letzten Titelkämpfen üblich war.
Über das Endspiel sagte er: "Es ist eine komplexe Partie. Schwarz hat zum Beispiel eigene Chancen, denn haben bereits einen Freibauern. Wenn Magnus das nicht interessiert, könnte uns das in einem Bauernendspiel helfen!" Vielleicht hatte er dabei an die achte Partie der WM 2016 gedacht, die Karjakin, damals ebenfalls von Potkin assistiert, mit einem Freibauern gewinnen konnte.
Im 25. Zug dachte Carlsen erstmals lange nach und entschied sich für einen Aufbau mit einem Springer auf f6 der von einem Bauern auf g5 gedeckt wurde. Nepomniachtchis Abwehr dagegen bestand aus einem Gegenangriff: Er begann einfach mit seinem a-Bauern zu laufen, genau wie es sein Landsmann vor fünf Jahren getan hatte. Und während sein Gegner nachdachte, war der russische GM die meiste Zeit nicht am Brett und verbrachte stattdessen viel Zeit in seinem privaten Ruhebereich.
Als Carlsen durch wiederholte Springerschachs immer ein Remis in der Hand hatte, blieb nur noch eine Frage: Hat Weiß mehr?
Die Stellung nach 29.a3.
Carlsen dachte in dieser 34 Minuten lang nach und gab dann zwei Schachs. Dann im 32. Zug weitere 14 Minuten und dann hatte er sich entschieden, die Partie mit einer dreifachen Stellungswiederholung zu beenden. Eine Entscheidung, die auch von der Uhr beeinflusst worden sein könnte. Am Ende der Partie hatte Carlsen noch 19 Minuten auf der Uhr und sein Gegner noch über eine Stunde.
"Bei Weltmeisterschaften kommt es manchmal vor, dass man vor und während der WM viel an Eröffnungen und so Sachen arbeitet und dann hat man am Brett weniger zu tun," sagte Carlsen über die finale Phase der Partie. "Meine Herangehensweise am Ende war sehr klar. Es war zwar nicht so, dass ich dachte, dass ich irgendetwas habe, aber ich habe zwei Stunden für die Partie und die wollte ich einfach nutzen, um nach allen Chancen zu suchen, die sich mir eventuell bieten könnten."
Caruana nannte Carlsens Entscheidung, die Züge zu wiederholen, "unter den gegebenen Umständen eine gute praktische Entscheidung", empfand jedoch gleichzeitig die Partie in Bezug auf Vorbereitung und Psychologie als "einen großen Erfolg für Ian".
Unser Kommentator Sam Shankland stimmte mit Caruana überein und schrieb: "Magnus konnte gegen die Russische Verteidigung nicht viel herausholen und der moralische Sieger des Tages war sicherlich Nepo, der mit Schwarz ein leichtes Remis schaffte, obwohl er von einer neuen Idee überrascht wurde."
The moral victor of the day was certainly Nepo for making an easy draw with Black even when he was hit with a new idea.
—Sam Shankland
Wie viel davon war jetzt Vorbereitung? Naja, vielleicht alles.
Nepomniachtchi sagte direkt nach der Partie zu Mike Klein: "Ich denke, es war bis zum Schluss mehr oder weniger die erste Wahl des Giganten. Mein Ziel war einfach: Ich habe nur versucht, meine Vorbereitung nicht zu verwechseln."
Auf der Pressekonferenz führte er speziell zum Zug 18.Sh4 aus: "Glücklicherweise kannte ich die Idee und konnte mich mehr oder weniger daran erinnern, was zu tun ist. Natürlich war ich etwas überrascht, weil es eine wirkliche Nebenvariante ist, aber sie ist auch sehr prinzipientreu. Es ist immer besser, sich an seine Züge zu erinnern, als sie am Brett finden zu müssen."
Und nachdem er noch einige Details zum Ende der Partie gesagt hatte, bemerkte er: "Ich dachte mehr oder weniger bis zum letzten Zug, dass ich das schon mal gesehen hatte. Ich bin mir zwar nicht ganz sicher, aber ich denke einfach, ich habe das alles schon einmal gesehen."
Land | Name | Elo | 01 | 02 | 03 | 04 | 05 | 06 | 07 | 08 | 09 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | Punkte |
Magnus Carlsen | 2855 | ½ | .½ | ½ | ½ | . | . | . | . | . | . | . | . | . | . | 2 | |
Ian Nepomniachtchi | 2782 | ½ | ½ | ½ | ½ | . | . | . | . | . | . | . | . | . | . | 2 |
Nepomniachtchi war mit dem Ergebnis offensichtlich zufrieden und sagte: "Tja, da ich Petroff gespielt habe, natürlich!"
Carlsen wies darauf hin, dass es so Partien einfach gibt und man damit leben muss: "Was soll ich sagen? Ich habe etwas versucht und es hat nicht funktioniert. Und dann ist das ein normales Ergebnis. Ich habe natürlich nicht damit gerechnet, dass ihm die Variante, die ich gespielte habe, völlig fremd war, aber bei einigen kleinen Abweichungen kann Schwarz schwierige Entscheidungen treffen müssen. Aber so wie er gespielt hat, gibt es einfach nichts und so ist halt modernes Schach. Mehr kann man dazu nicht sagen."
The state of modern chess, not much else to say.
—Magnus Carlsen
Der Weltmeister sagte auch, dass er jetzt keinesfalls frustriert wäre: "Es ist in Ordnung. Ich habe früher schon mit viel mehr Remis begonnen! Und wenn man wie ich heute eine zwingende Variante spielt, erwartet man nicht, sehr oft zu treffen. Die Idee ist, ab und zu zuzuschlagen, den Gegner zu überraschen, und die anderen Male steht man normalerweise sehr sicher. Ich hätte natürlich gerne gewonnen, hätte gerne mehr Chancen gefunden als ich gefunden habe, aber insgesamt denke ich, dass es gegen einen gut vorbereiteten Gegner ein normales Ergebnis ist."
Carlsen hat gute Erinnerungen daran, an seinem Geburtstag um den Weltmeistertitel zu spielen: Am 30. November 2016 gewann er das Schnellschach Playoff gegen Sergey Karjakin mit zwei Siegen und zwei Remis. Und auch bei anderen Events, bei denen der Weltmeister im Laufe der Jahre an seinem Geburtstag gespielt hatte, ging er kein einziges Mal als Verlierer vom Brett. Nur vor genau einem Jahr hat er gegen Wesley So beim Skilling Open verloren. Das war aber ein Online-Turnier.
Bei der Pressekonferenz sagte Nepomniachtchi, es sei "nie einfach", an seinem Geburtstag zu spielen, weil das normalerweise bedeutet, dass man nicht feiern kann, weil man ja sehr wahrscheinlich auch am nächsten Tag wieder spielen muss.
Auf die Frage, ob er seinen Geburtstagskuchen mit Nepo teilen würde, spielte Carlsen auf den berühmten Joghurt-Skandal bei der Karpov-Korchnoi-WM von 1978 an und sagte: "Wenn ich an die Geschichte der Schachweltmeisterschaften denke, glaube ich nicht, dass er vom seinem Gegner etwas zu Essen annehmen würde!"
WGM Anastasiya Karlovich wies darauf hin, dass der 30. November auch Winston Churchills Geburtstag sei und fragte Carlsen, ob er einige Zitate des ehemaligen Premierministers Großbritanniens kennen würde. Der Weltmeister enttäuschte nicht: "Es gibt dieses Zitat von Churchill über einen seiner Gegner, dass er ein sehr bescheidener Mann war und gute Gründe hatte, bescheiden zu sein. Ich würde über meinen Gegner sagen, dass er kein bescheidener Mann ist und das aus gutem Grund."
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- Der Champion: Magnus Carlsen
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- Die FIDE Schach-WM 2021: Alle Informationen
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