FIDE WM Partie 5: Carlsen hält mit einer passiven Verteidigung Remis
Die FIDE Schachweltmeisterschaft zwischen Ian Nepomniachtchi und Magnus Carlsen steht auch vor dem zweiten Ruhetag weiter Unentschieden. Der Herausforderer hatte zwar in einem weiteren Anti-Marshall einen leichten Endspielvorteil, aber Carlsens Stellung war, obwohl passiv, absolut solide. Die sechste Partie beginnt am Freitag um 13.00 Uhr.
Chess.com hat sich die Übertragungsrechte für die WM 2021 gesichert und wird jede Sekunde der Weltmeisterschaft in vielen Sprachen übertragen.
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- Und für die deutschsprachige Übertragung auf ChessTV, Twitch und YouTube haben wir IM Steve Berger und WIM Fiona Steil-Antoni engagiert. Die beiden werden Euch die Züge von Carlsen und Nepo genau erklären und Euch mit Hintergrundinformationen versorgen.
Zwischen 1886 und 2018 begannen nur sieben Weltmeisterschaften mit fünf Remis. Seit heute sind es acht. Drei dieser sieben Weltmeisterschaften fanden im 21. Jahrhundert statt, was den wachsenden Einfluss immer besserer Computer-Engines in der Vorbereitung, aber auch die gestiegene Defensivfähigkeiten der Spieler zeigt.
Wie ein Kolumnist einer großen niederländischen Zeitung treffend verglich, weichen moderne Top-Großmeister, genau wie im modernen Fußball, von der aggressiven 4-3-3-Taktik ab und versuchen ihr Glück stattdessen erfolgreich mit einer 3-5-2-Formation.
Die Fans können nur hoffen, dass wir nicht wieder eine Weltmeisterschaft sehen werden, bei der alle klassischen Partien Remis enden, wie es beim letzten Mal der Fall war. Es scheint, als vertritt Carlsen selbst diese Meinung. Er sagte heute: "Ich denke, es gibt einen magischen Grenzpunkt, an dem Remis, anstatt nur normal zu sein, zu einem Problem werden, aber ich glaube nicht, dass wir den Rubikon schon überschritten haben. Offensichtlich steigt die Spannung und es wird immer offensichtlicher, dass es für beide von uns schwer werden wird, durchzubrechen."
Obviously, the tension is rising and it's becoming clearer and clearer that it's going to be hard for both of us to break through.
—Magnus Carlsen
Zum dritten Mal eröffnete Nepomniachtchi die Partie, indem er seinen Königsbauern zwei Felder nach vorne spielte. Obwohl Carlsen erneut sein Marshall-basiertes Repertoire nutzte, wich er als erster von der vorherigen Partie ab und antwortete nach anderthalb Minuten Bedenkzeit auf den Zug 8.a4 mit dem Zug 8...Tb8.
Danach bemerkte Nepomniachtchi, dass er über den Zug 8...Tb8 nicht sonderlich unzufrieden war: "Eigentlich ist man ja schon nicht mehr zufrieden, wenn man schon wieder eine spanische Partie sieht", witzelte er mit einem Lächeln.
Carlsen: "Ich dachte, es ist immer gut, die erste Überraschung zu machen. Leider hat es heute für mich nicht so gut geklappt. Ich denke, er hat eine sehr gute Variante gewählt."
Die Stellung nach 8...Tb8.
Nepo blickte 13 Sekunden lang in Richtung der Zuschauer, öffnete schnell die Speicherschublade in seinem Kopf, die alle vorbereiteten 8…Tb8-Daten enthält, nahm dann auf b5 und spielte h3 hinterher.
In den nächsten Zügen verbrauchte Carlsen ständig einige Minuten mehr als sein Gegner, wobei der Herausforderer seine Züge in jeweils weniger als 30 Sekunden herausblitzte.
Nepomniachtchis dachte zum ersten Mal nach Carlsens 15. Zug länger nach und entschied sich nach fast sechs Minuten für16. Dc2. Seinen nächsten Zug 17. Sf1 spielte er aber wieder recht schnell. "Ich halte es für möglich, dass er sich nochmal versichert hat, dass er in der richtigen Variante ist," sagte GM Fabiano Caruana in der Live-Übertragung von Chess.com.
Caruana dachte über einen Vorposten auf f5 und danach über ein Opfer auf h6 nach und wie es sich herausstellte, hatte Nepomniachtchi an genau die gleichen Dinge gedacht.
"Eigentlich hatte ich die Idee mit Sf5, Dc1 und Lxh6, aber leider funktionierte sie nicht", sagte Nepo nach der Partie.
Die Stellung nach 17.Sf1.
Nach dem 17. Zug hatte Carlsen eine halbe Stunde weniger auf der Uhr und auf dem Brett stand er leicht unter Druck. Die Eröffnung war also wieder einmal ein voller Erfolg für Nepomniachtchi.
Einige natürliche Züge später, war es für Weiß an der Zeit, den leicht verpflichtenden Zug 20.c4 zu spielen – zumindest schlugen das die stärksten Engines vor. Da auch IM Daniel Rensch diesen Zug in der Übertragung vorgeschlagen hatte, machte Caruana ihm auf subtilste Weise Komplimente.
"Even a blind pig can find a truffle sometimes."- @FabianoCaruana 🔥#CarlsenNepo pic.twitter.com/a4qGGK6pb8
— Chess.com (@chesscom) December 1, 2021
Carlsen sah diesen Schlüsselzug während der Partie ebenfalls: "Ich dachte, seine beste Chance wäre, 21.c4 zu spielen und zu versuchen, nach c5 zu kommen. Nach dem, was er gespielt hat, dachte ich, dass es mir jetzt allmählich besser gehen sollte", sagte er.
Nepomniachtchi hatte natürlich auch über diesen Zug nachgedacht. "Irgendwie war die Stellung so angenehm, dass es schwierig war, den Vorteil zu wählen, die man am Brett haben möchte", sagte er.
Nepomniachtchi spielte jedoch nach etwas über 10 minütigem Nachdenken, was länger war als bei jedem anderen Zug heute, 20. Ted1.
Ungefähr zu diesem Zeitpunkt fragte sich Robert Hess ob Nepo, der eine glänzende Stellung hatte und jetzt etwas zurückhaltender spielen konnte, vielleicht zu zurückhaltend spielte.
Die privaten Ruheräume der Spieler verfügen mittlerweile beide über einen Bildschirm, der die Stellungen der Partie anzeigt. Das ermöglicht es ihnen, sich öfter als üblich vom Brett fernzuhalten. Heute waren die Spieler so oft vom Brett weg, dass Rensch im 21. Zug den Moment feierte, als beide Spieler tatsächlich einmal gemeinsam am Brett saßen. Schließlich waren Szenen wie die folgende keine Seltenheit:
just watching some chess #CarlsenNepo pic.twitter.com/bW3maRtBfT
— Oliver Roeder (@ollie) December 1, 2021
Nepomniachtchi schaffte es schließlich, seine Figuren weiter zu aktivieren, indem er seinen Turm auf a6 und die Springer auf c4 und f5 platzierte. Carlsen sah zu diesem Zeitpunkt zwar etwas passiv aus, aber starke Engines bewerteten die Stellung immer noch ausgeglichen.
Ich fand das Endspiel ziemlich unangenehm", sagte Nepo, "aber irgendwie stellte sich heraus, dass es diesen passiven Plan mit 27...Se8 und 28...Sf8 gibt."
Nach 30…Td8, einem weiteren passiven Zug der alles zusammenhält, zeigte Nepomniachtchi ein weiteres seiner mittlerweile schon zum Markenzeichen gewordenen Stirnrunzeln und knöpfte seine Manschettenknöpfe an beiden Armen auf. (Die FIDE teilte Chess.com mit, dass die Temperatur im Spielsaal auf Wunsch der Spieler 23 Grad Celsius beträgt.)
Caption this ⬇️ pic.twitter.com/P4nkkfmI7X
— Chess.com (@chesscom) December 1, 2021
Während sich die Spieler der Zeitkontrolle näherten, änderte sich an der Situation nicht viel. Wie sich herausstellte, war Carlsens Festung echt – das berühmte Zitat, dass er nicht an Festungen glaubt, ist ja inzwischen hoffnungslos überholt.
"Genau deshalb ist Magnus so stark", scheibt auch unser Kommentator GM Sam Shankland in seiner Analyse. "Wenn er eine solide Stellung ohne unmittelbare Schwächen hat, ist es fast so, als würde man einem Zauberer dabei zusehen, wie er seine Figuren koordiniert. Er hielt nicht nur das Remis, er ließ es auch noch einfach aussehen!
It's almost like watching a magician the way he can coordinate his pieces. Not only did he hold—he made it look easy!
—Sam Shankland
Zwischenstand
Land | Name | Elo | 01 | 02 | 03 | 04 | 05 | 06 | 07 | 08 | 09 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | Punkte |
Magnus Carlsen | 2855 | ½ | .½ | ½ | ½ | ½ | . | . | . | . | . | . | . | . | . | 2½ | |
Ian Nepomniachtchi | 2782 | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | . | . | . | . | . | . | . | . | . | 2½ |
Es hatte den Anschein, dass Nepomniachtchi von diesem Remis enttäuschter war als von dem in der zweiten Partie. Nach seinem allgemeinen Empfinden gefragt, antwortete er ohne zu zögern: "Natürlich bin ich enttäuscht."
Of course, I'm disappointed.
—Ian Nepomniachtchi
Etwas später in der Pressekonferenz erklärte er: "Heute ging es im Grunde nicht darum, dass er gut verteidigt, sondern dass ich alle Chancen nutze, die ich habe. Aber im Allgemeinen glaube ich, dass diese Partien ziemlich spannend sind und trotz aller dieser Remis versuchen wir, vernünftig Schach zu spielen. Ich hätte versuchen sollen, den Schwung noch mehr zu nutzen."
Carlsen war zwar mit dem Ergebnis, aber nicht aber mit dem Verlauf der Partie zufrieden. "Ich bin nicht begeistert von der Partie. Wenn man von ...Ta2 und ...Ta1 am Ende absieht, habe ich keinen einzigen aktiven Zug gemacht und das ist sicher nicht ideal. So gewinnt man nicht viele Partien. Also ist das Ergebnis ist offensichtlich in Ordnung.
"Eigentlich wusste ich, dass es in dieser Variante schwierig ist, vollständig auszugleichen. Ich dachte, es gibt nur begrenztes Material und es ist ziemlich symmetrisch, also werde ich mal herausfinden, was da genau los ist. Es war aber etwas unangenehmer, als ich gehofft hatte."
Was die passive Verteidigung angeht, war er jedoch nicht so negativ: "Mir war das egal. Das war in Ordnung. Es ist ein wenig pervers, wenn man solche Stellungen gerne verteidigt, aber von Zeit zu Zeit genieße ich das richtig. Und ich hatte ein klares Ziel, das ich erreichen wollte. Nämlich diese Festung zu erreichen, die ich im der Partie auch erreicht habe. In diesem Sinne war es eine gute Arbeit und das ist definitiv befriedigend."
It's a perverse kind of taste to like defending these positions but I do enjoy it from time to time.
—Magnus Carlsen
Auf der Pressekonferenz wurde der Herausforderer gefragt, ob er tatsächlich seinen Stil geändert habe und ob er denkt, dass er damit die Weltmeisterschaft gewinnen würde. Nigel Short hatte das in einem Tweet ebenfalls gefragt:
In 1927, the Russian, Alexander Alekhine, defeated the "unbeatable" Jose Raul Capablanca, of God-given talent and technique, by playing in a rather similar style to the World Champion. Could that be @lachesisq's blueprint for success?
— Nigel Short (@nigelshortchess) December 1, 2021
Nepomniachtchi: "Es mag den Anschein haben, als hätte ich meinen Stil ein wenig geändert, aber im Allgemeinen versuche ich nach wie vor, ein paar gute Züge zu spielen und dem Gegner einige Probleme zu bereiten, damit er vielleicht etwas Druck verspürt und Fehler macht. Das ist alles. So funktioniert Schach. Du versuchst einfach gut zu spielen und wenn dir das gelingt, bekommst Du irgendwann einige Chancen."
Die letzte Frage war eine hypothetische. Was würden die Spieler ändern, wenn sie mit einer Zeitmaschine zu einem früheren Zeitpunkt in ihren Karrieren zurückzukehren könnten?
Nepomniachtchi: "Ich würde früher anfangen zu arbeiten!"
Carlsen: "Es gab ein paar Momente, die ich ändern könnte, aber ich hatte so viel Glück, dass ich glaube, ich sollte besser nichts ändern, um nicht den Schmetterlingseffekt zu riskieren!
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Weitere Berichte von der WM:
- FIDE World Championship Officially Opened After Press Conference Clash Of Frenemies (englisch)
- Carlsen-Nepomniachtchi: Das sagen die Experten
- Der Champion: Magnus Carlsen
- Der Herausforderer: Ian Nepomniachtchi
- Alle Weltmeister (englisch)
- Die FIDE Schach-WM 2021: Alle Informationen
- Partie 1 - Nepo mit Weiß - Spanische Eröffnung - Remis
- Partie 2 - Carlsen mit Weiß - Katalanische Eröffnung - Remis
- Partie 3 - Nepo mit Weiß - Spanische Eröffnung - Remis
- Partie 4 - Carlsen mit Weiß - Russische Verteidigung - Remis