GM Wolfgang Uhlmann, 1935-2020
Wolfgang Uhlmann, der ehemalige Weltklasse-Großmeister, erfolgreichste Spieler der DDR, Schachtheoretiker und Verfasser mehrerer Schachbücher, verstarb am Montag an den Folgen eines Sturzes. Er wurde 85 Jahre alt.
"Das Spiel hat mein Leben geprägt", sagte Uhlmann Anfang des Jahres. Der legendäre ostdeutsche Großmeister war in den 1960er und 1970er Jahren ein Weltklassespieler und spielte bis weit ins 21. Jahrhundert hinein. Nach eigenen Aussagen besuchte er 34 Länder und gewann 34 Turniere.
Uhlmann wurde am 29. März 1935 in Dresden geboren. Als kleiner Junge erlebte er die Tragödie des Zweiten Weltkriegs, als das Stadtzentrum seiner Heimatstadt bei Bombenangriffen amerikanischer und britischer Truppen vollständig zerstört wurde und etwa 25.000 Menschen getötet wurden.
Als Kind verbrachte Uhlmann ein Jahr in einer Rehaklinik, um sich von Tuberkulose zu erholen. Dort las er zwei Schachbücher, die ihm sein Vater geschenkt hatte und seine Liebe zum Schach war geboren.
Sein Schachtalent zeigte sich, als er 1951 mit 16 Jahren die Jugendmeisterschaft der DDR gewann. Drei Jahre später gewann er seine erste nationale Meisterschaft. Von 1949 bis 1952 wurde er zum Buchdrucker und später zum Industriekaufmann ausgebildet. Dank seiner Erfolge am Schachbrett erhielt er jedoch eine staatliche Förderung und wurde damit der erste professionelle Schachspieler seines Landes.
Das war etwas ganz Besonderes, denn anders als in der Sowjetunion wurde in der DDR Schach von der Regierung nicht besonders geschätzt. "Ich war privilegiert", sagte Uhlmann viele Jahre später.
Uhlmann war mit Abstand der erfolgreichste Schachspieler der DDR. Er gewann nicht weniger als elf Mal die nationale Meisterschaft (1954, 1955, 1958, 1964, 1968, 1975, 1976, 1981, 1983, 1985 und 1986) und vertrat sein Land zwischen 1956 und 1990 ebenfalls elf Mal bei Schacholympiaden. Bei der Schacholympiade 1964 in Tel Aviv gewann er die Goldmedaille an Brett eins.
1956 wurde Uhlmann internationaler Meister und 1959 Großmeister. Beim Zonenturnier 1954 in Marianske Lazne machte er seinen ersten Schritt in Richtung Weltmeisterschaftszyklus. Der zweite folgte 1957 in Wageningen.
Als er 1960 nicht in die Niederlande einreisen durfte, um an einem weiteren Zonenturnier in Berg en Dal teilzunehmen, boykottierten die anderen Teilnehmer aus den Ländern des Warschauer Pakts das Turnier. Das Zonenturnier wurde dann auf 1961 verschoben und nach Marianske Lazne verlegt.
In Marianske Lazne belegte Uhlmann den dritten Platz und qualifizierte sich damit erstmals für ein Interzonenturnier: Stockholm 1962. Dort belegte er den geteilten neunten Platz.
1969 konnte er sich dann durch seinen überlegenen Sieg beim Zonenturnier von Raach erneut für ein Interzonenturnier qualifizieren: Das berühmte Turnier von Palma de Mallorca, das ein junger Amerikaner namens Bobby Fischer, der zwei Jahre später Weltmeister werden sollte, gewonnen hat. Uhlmann beendete das Turnier auf dem geteilten fünften Platz und qualifizierte sich damit für das Kandidatenturnier, bei dem er dann in der ersten Runde gegen Bent Larsen ausschied. (Mehr dazu folgt weiter unten.)
Bei den nächsten beiden Interzonenturnieren, 1973 in Leningrad und in 1976 in Manila, konnte sich Uhlmann nicht für ein Kandidatenturnier qualifizieren. Trotzdem wird er aber neben Adolf Anderssen (1818-1879), Emanuel Lasker (1868-1941), Siegbert Tarrasch (1862-1934) und Robert Hübner als einer der stärksten deutschen Spieler der Geschichte angesehen.
Die 1960er Jahre waren Uhlmanns erfolgreichstes Jahrzehnt. 1964 teilte er sich mit Lev Polugaevsky den ersten Platz in Sarajevo und mit Vasily Smyslov den ersten Platz in Havanna und 1965 gewann er gemeinsam mit Borislav Ivkov und vor Tigran Petrosian in Zagreb. Weitere erste Plätze teilte er sich mit Boris Spassky in Hastings (1965/1966) und mit David Bronstein, 1968 in Berlin.
Uhlmann war auch einer der Teilnehmer des Vergleichskampfes UdSSR gegen den Rest der Welt, der 1970 stattfand. Eigentlich hatte ihm die ostdeutsche Regierung die Teilnahme zunächst nicht erlaubt, doch nach einer Intervention des russischen Zentralkomitees durfte er spielen. An Brett sieben für den Rest der Welt verlor er 2,5-1,5 gegen Mark Taimanov.
Genau 10 Jahre nach seinem ersten Erfolg in Hastings holte sich Uhlmann erneut den ersten Platz in Hastings. Diesmal gemeinsam mit Vlastimil Hort und David Bronstein.1977 gewann er ein Turnier in Vrbas und 1981 das Turnier von Halle.
Hier ist eine schöne Partie aus dem Jahr 1978, in der er den spanischen GM Juan Bellon Lopez besiegte, der in dieser Begegnung sein "Bellon Gambit" spielte. Uhlmann verließ sich dabei ganz auf die Widerlegung von GM Ray Keene:
Mit Schwarz spielte Uhlmann gerne die Königsindische Verteidigung. Die Mar del Plata-Variante ist bekanntermaßen sehr riskant für Schwarz, und ein bekanntes Sprichwort besagt, dass man sie nicht ohne mindestens ein Figurenopfer gewinnen kann. In dieser Partie gegen GM Jon Speelman aus dem Jahr 1984 kam Uhlmanns Springeropfer sehr früh:
Im fortgeschrittenen Alter nahm Uhlmann an vielen Senioren-Weltmeisterschaften teil, bei denen er 1988 in Grieskirchen sein bestes Ergebnis erzielte: Ein zweiter Platz hinter dem Sieger Vladimir Bagirov. Außerdem gewann er 2001 und 2006 die deutschen Senioren-Meisterschaften.
2012 bildete Uhlmann zusammen mit den Großmeistern Oleg Romanishin, Vlastimil Hort und Fridrik Olafsson die Mannschaft der "alten Säcke", die im tschechischen Podebrady gegen die "Schneeglöckchen" spielten: Tania Sachdev, Alina Kashlinskaya, Valentina Gunina und Kristyna Havlikova. Uhlmann gelang dabei ein schöner Sieg gegen Kashlinskaya:
Am 28. und 29. März 2014 spielte Uhlmann in der Leipziger Universität ein 2 Partien Match gegen Viktor Korchnoi und Korchnoi gewann beide Partien. Ein Jahr später fand in Zürich die Revanche statt und endete 2-2. Das war das letzte Mal, dass die beiden gegeneinander gespielt haben. Ein Jahr später, am 6. Juni 2016 ist Korchnoi gestorben.
Als Uhlmann am 9. April 2016 in der Bundesliga seine letzte offizielle Partie spielte, war er 81 Jahre und 11 Tage alt. Damit ist er der älteste Bundesligaspieler aller Zeiten.
Am 5. April 2020 war Uhlmann als Teil einer Dokumentation über das Rudolf-Harbig-Stadion in Dresden im deutschen Fernsehen zu sehen ist. Leider sollte es das letzte Bildmaterial des legendären deutschen Großmeisters werden. (Das - wirklich tolle - Video müsst Ihr Euch leider auf YouTube ansehen.)
Im Laufe der Jahre wurde Uhlmann zu einem der größten Experten der französischen Verteidigung, insbesondere in der Winawer-Variante. Mit dieser Eröffnung besiegte er auch Bobby Fischer in der ersten von insgesamt acht Begegnungen.
Im selben Jahr gelang Fischer aber bei der Schacholympiade noch die Revanche. Das Filmmaterial dieser Partie ist in diesem Video zu sehen:
1977 gelang Uhlmann auch gegen Bronstein ein sehr schöner Sieg mit der Winawer-Variante. Seine vielen Erfolge mit der französischen Verteidigung inspirierten Ulhlmann später zu dem Buch: Ein Leben lang Französisch.
Der ehemalige WM-Kandidat GM Artur Jussupow sagte gegenüber Chess.com: "Uhlmann war ein Sportler und eine freundliche Person. Sein Beitrag zum Schach ist sehr groß. Persönlich wurde ich von seinen französischen Partien beeinflusst. Um diese Eröffnung vor meinem Spiel gegen Ivanchuk im Jahr 1991 besser zu verstehen, habe ich sein großartiges Buch über die französische Verteidigung studiert."
Neben seinem Buch über die Französische Verteidigung schrieb Uhlmann aber weitere Bücher: Offene Linien (1981 mit Gerhard Schmidt), Bauernschwächen (1984 mit Gerhard Schmidt), Gute Läufer – schlechte Läufer (1988 mit Lothar Vogt) und 2015 eine Sammlung seiner besten Partien.
Sein Dresdner Mannschaftskamerad GM Uwe Bönsch schrieb diesen Nachruf:
Tief bestürzt erfuhr ich heute vom Ableben von Wolfgang Uhlmann. Wolfgang wurde 85 Jahre alt.
Wolfgang war nicht nur der erfolgreichste Schachspieler der DDR, er war auch ein guter Mannschaftskollege und Schachfreund. Die Erfolge und Turniersiege von Wolfgang Uhlmann sind zahllos und können gar nicht alle aufgezählt werden. Erwähnen möchte ich aber unbedingt den geteilten 5./6. Platz beim Interzonenturnier von Palma de Mallorca 1970. Mit dieser Platzierung gelang ihm die Qualifikation zu den Kandidatenwettkämpfen um die Weltmeisterschaft.
Mit Wolfgang verbinden mich viele persönliche Erinnerungen und zahlreiche gemeinsame Wettkämpfe und Lehrgänge in der DDR-Nationalmannschaft. Immer habe ich Wolfgang als einen herausragenden Kämpfer und tadellosen Mannschaftskollegen erlebt. Unser Mitgefühl gilt seiner Familie, insbesondere seiner Ehefrau Christine, die ihn immer unterstützt und häufig auf seinen Reisen begleitet hat. Für viele Jahrzehnte vertrat Wolfgang seine Heimatstadt Dresden und den USV Dresden. Auch hier war Wolfgang ein Vorbild für Generationen junger Schachspielerinnen und Schachspieler, von denen er selbst einige bis ins hohe Alter hinein trainierte.
Wir nehmen Abschied, werden Wolfgang aber nie vergessen.
Uwe Bönsch für die Schachbundesligamannschaft des USV Dresden
Harry Schaack, der Herausgeber des historischen Schachmagazins Karl kommentierte: "Uhlmann war einer der besten Spieler der deutschen Geschichte. Nur Lasker und Hübner haben ein bisschen mehr erreicht. Als jahrzehntelanger Frontmann der DDR wurde er zur Legende und zum Idol für alle kommenden Generationen in Ostdeutschland (übrigens war er auch der erste Profispieler seines Landes). Lange Zeit hatte er eine freundschaftliche Rivalität mit dem anderen Wolfgang (Unzicker) aus Westdeutschland. In den siebziger Jahren waren beide die unbestrittenen Frontmänner ihrer Olympiamannschaften.
Während seines gesamten Lebens hatte Uhlmann permanent gesundheitliche Probleme (während des Zweiten Weltkriegs hatte er Tuberkulose und hat fast eineinhalb Jahre in einer Rehaklinik verbracht, wo er auch das Schachspiel erlernte) und Schwierigkeiten mit der Sportpolitik der Regierung (obwohl er viel privilegierter war als alle anderen Schachspieler in seinem Land), was in den siebziger Jahren zu einem Verbot des internationalen Spiels für Schachspieler der DDR führte. Genau zu diesem Zeitpunkt erreichte Uhlmann seinen Höhepunkt und erzielte Uhlmann mit der Teilnahme beim Kandidatenturnier, wo er sehr unglücklich gegen Larsen ausschied, den größten Erfolg seiner Karriere."
Hier ist die vierte und entscheidende Partie aus diesem Duell:
Schaak schreibt weiter: "Nach der Wiedervereinigung im Jahr 1990 war Uhlmann in der deutschen Schachszene noch sehr präsent. Er nahm an einigen deutschen Meisterschaften teil und spielte bis 2016 in der deutschen Bundesliga. Er spielte auch noch bis ins hohe Alter viele Turniere und nahm an Senioren-Weltmeisterschaften teil, die sehr oft in seiner Heimatstadt Dresden stattfanden.
Da er Autodidakt war und nie einen Trainer hatte, hatte er ein sehr begrenztes Eröffnungsrepertoire. Auf diese Weise wurde er insbesondere bei seinen beiden Lieblingseröffnungen, der Französischen und der Königsindischen Verteidigung, ein weltweit anerkannter Experte.
Ich habe ihn mehrmals in seinem Haus in Dresden besucht und einige lange Interviews über seine Erfolge bei seinem Lieblingsturnier in Hastings und sein Leben geführt. Und ich erinnere mich an ihn als einen sehr freundlichen und angenehmen Mann ohne jegliche Allüren."
FIDE-Präsident Emil Sutovsky schrieb auf Facebook, dass die FIDE vor einigen Jahren Uhlmann im Rahmen eines Programms zur Unterstützung von verdienten Schachspielern eine Unterstützung gewähren wollte. Der deutsche Großmeister lehnte dankbar ab und schlug vor, es jemandem zu geben, der die Mittel notwendiger haben würde.
Uhlmann ist seit 2003 Ehrenmitglied des Deutschen Schachbundes. Er starb in seiner Heimatstadt Dresden und hinterlässt seine Jugendliebe und Ehefrau Christine und zwei erwachsene Kinder.