Magnus Carlsen gewinnt die Schachweltmeisterschaft 2021
Magnus Carlsen hat die mit 2 Millionen Euro dotierte FIDE Schachweltmeisterschaft 2021 mit 7.5 : 3.5 gewonnen. Auch in der 11. Partie unterlief seinem Herausforderer Ian Nepomniachtchi ein Fehler. Sein letzter bei dieser WM. Carlsen erhält mit 1.2 Millionen Euro den Löwenanteil vom Preisgeld. Der Herausforderer darf sich über 800.000 Euro freuen.
Chess.com hatte sich die Übertragungsrechte für die WM 2021 gesichert und jede Sekunde der Weltmeisterschaft in vielen Sprachen übertragen.
- Auf unserer Live Events Seite findet Ihr alle Züge, Analysen und auch die Links zur Übertragung.
- Auf Facebook und Twitter haben wir Euch ständig mit den neuesten Nachrichten und zusätzlichen Fotos, Gerüchten und Hintergrundberichten über die WM versorgt.
- Und für die deutschsprachige Übertragung auf ChessTV, Twitch und YouTube hatten wir IM Steve Berger und WIM Fiona Steil-Antoni engagiert. Die beiden haben Euch die Züge von Carlsen und Nepo genau erklärt und Euch mit Hintergrundinformationen versorgt.
"Es ist traurig. Wir wissen, wozu er fähig ist, und er hat es bei dieser WM nicht geschafft, es der Welt zu zeigen", sagte Robert Hess am Ende der Chess.com Live-Übertragung. Damit hatte der amerikanische Großmeister und Kommentator ausgesprochen, was in der Schachwelt allgemein verbreitet zu sein scheint: Dass Nepomniachtchis schmerzhafter Zusammenbruch nach der sechsten Partie nicht das hohe Niveau widerspiegelte, das er in der ersten Hälfte der Weltmeisterschaft oder beim Kandidatenturnier gezeigt hatte.
Gleichzeitig gab es aber keinen Zweifel, dass Carlsen der bessere Spieler war und seinen fünften Titel hochverdient gewonnen hatte. "Natürlich konnte er ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr sein bestes Schach zeigen, was für die Spannung natürlich schade war, aber ich denke, das passiert manchmal, wenn man in eine schwierige Situation gerät", sagte Carlsen selbst. "Die ganze Vorbereitung, das alles hilft nur wenig, wenn man dann im entscheidenden Moment einfach nicht liefern kann."
Der norwegische Superstar hat nun eine WM mehr gewonnen als der erste Weltmeister Wilhelm Steinitz und der vierte Weltmeister Alexander Aljechin. Rechnet man Titelverteidigungen durch ein Unentschieden hinzu, konnte nur zwei Spieler sechsmal die Weltmeisterschaft gewinnen: Der zweite Weltmeister Emanuel Lasker und der 13. Weltmeister Garry Kasparov. Kasparovs Sieg gegen Nigel Short im Jahr 1993 war auch das letzte Mal gewesen, dass ein Spieler mit mehr als drei Punkten Vorsprung gewonnen hatte.
— Magnus Carlsen (@MagnusCarlsen) December 10, 2021
Die elfte und letzte Partie dieser WM war gleich aus zwei Gründen enttäuschend. Erstens schien Nepomniachtchi mit Weiß nicht wirklich viel zu versuchen, was seine letzte ernsthafte Chance auf den Titel erhöhen würde. Und zweitens unterlief ihm dann auch noch ein Fehler, der dazu führte, dass wir am Samstag keine Partie zu sehen bekommen werden.
Nepomniachtchi hatte sich zum ersten Mal für die italienische Eröffnung entschieden und die Wahl schien Sinn gemacht zu haben. Fabiano Caruana dachte, dass es vielleicht eine "spontane Entscheidung" war, hielt die Eröffnung aber auch für "heute vielleicht noch herausfordernder" als die spanische, die wir zuvor gesehen hatten. Außerdem hat sie den Bonusvorteil, dass sie viele erzwungene Varianten vermeidet.
Carlsen reagierte mit gesunden und logischen Zügen, und zu Beginn der Partie waren die Kommentatoren von Chess.com der Meinung, dass Nepomniachtchi nicht die kritischsten Züge spielte, um um einen Vorteil zu kämpfen. 13.Lb5 wäre ehrgeiziger gewesen als der Partiezug 13.Lxe6. Noch überraschender war aber Nepos 20. Zug.
Die Stellung nach 19...d5.
Nach nur eineinhalb Minuten spielte der Herausforderer 20.d4, was zu schnellen Vereinfachungen zu führen schien. "Ich verstehe nicht, warum er so schnell spielt", sagte Caruana. "Ich denke, dass Nepo das Interesse verloren hat."
Why is he playing so quickly, I don't get it.
—Fabiano Caruana
Es war aber auch möglich, dass Nepomniachtchi nach den Zügen 20...exd4 21.exd5 Te4 22.Dc2 den Zug 22...Tf4 verpasste. Aber wenn dies der Fall war, war dies das Ergebnis davon, dass bis zum Ende nicht genügend Zeit für Berechnungsvariationen aufgewendet wurde, argumentierte Caruana.
Dies bringt uns zu einem Thema, das neben den taktischen Fehlern vielleicht ein Schlüsselfaktor für Nepos Niederlage gewesen sein könnte: Schnell, vielleicht zu schnell gespielt zu haben – eine bekannte Schwäche, die er während dieser WM nicht abstellen konnte.
Carlsens Gesamtbedenkzeit bei dieser Weltmeisterschaft betrug 21 Stunden und 38 Minuten. Nepo dachte 19 Stunden und 47 Minuten über seine Züge nach. Im Durchschnitt verbrachte Carlsen zwei Minuten und 17 Sekunden mit jedem Zug; Nepomniachtchi zwei Minuten und fünf Sekunden. Insgesamt spielte jeder 568 Züge.
Ironischerweise dachte Nepomniachtchi aber neuneinhalb Minuten lang nach, bevor er seinen Fehler machte.
Die Stellung nach 22...Tf4.
Hier spielte er 23.g3?? und nach 23...fxe3 24.gxf4 exf2+ 25.Dxf2 wäre Weiß auch ok, aber stattdessen kam sofort 24...Dxg4+!. In ihren Livekommentaren dachten sowohl Caruana als auch Anish Giri, dass Nepomniachtchi den Zug 23.g3 spielte, um die Weltmeisterschaft zu beenden.
Carlsen, dessen rechte Armlehne kurz zuvor von seinem Sessel abgebrochen war, reagierte sichtlich überrascht. Er gewann die Partie dank eines Qualitätsopfers, das einen Angriff auf den weißen König einleitete.
Hess: "Das fühlt sich an, als wäre Magnus der Titel geschenkt worden. So möchte ich mich nie an irgendein Schachereignis erinnern."
Wait, what happened
— Vidit Gujrathi (@viditchess) December 10, 2021
I was just checking flights to Poland and it’s lost already?
Oh Nepo, no, not like this.
— David Smerdon (@dsmerdon) December 10, 2021
That was the first audible gasp in the press room all match#CarlsenNepo
— Mike Klein (@ChessMike) December 10, 2021
"Es ist schwer, mehr Punkte zu erzielen, wenn man so seltsame Züge macht, die man im Blitz wahrscheinlich nicht einmal in Betracht ziehen würde", sagte Nepomniachtchi später über seinen dritten großen Fehler in dieser WM und den, der sie beendete.
Weil die Organisatoren den Weltmeister nicht ablenken wollten und sich entschieden, ihm nicht sofort einen neuen Stuhl zu bringen, hatte Carlsen mit nur der abgebrochenen Armlehne, aber nicht mit dem Rest der Partie zu kämpfen. Obwohl er ein oder zwei schnellere "Computersiege" verpasste, was diesen vierten Sieg vielleicht zu seiner ungenauesten Partie machte, ließ er den Sieg nie los und verwandelte die Stellung in ein lehrreiches Turmendspiel.
Unser Analyst Sam Shankland fasste die WM wie folgt zusammen: "Es fühlte sich wirklich so an, als ob zwei Weltmeisterschaften gespielt wurden. Nepo A hat die erste WM gespielt und meiner Meinung nach ist Nepo A der zweitbeste Spieler der Welt. Nepo B hat die zweite gespielt und das war eine Farce. Ich denke wirklich, wenn er es schafft, konsequent Nepo A ans Brett zu bringen, kann er in einer weiteren Weltmeisterschaft ein würdiger Herausforderer sein und Magnus einen harten Kampf liefern."
Endstand
Land | Name | Elo | 01 | 02 | 03 | 04 | 05 | 06 | 07 | 08 | 09 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | Punkte |
Magnus Carlsen | 2855 | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | 1 | ½ | 1 | 1 | ½ | 1 | . | . | . | 7½ | |
Ian Nepomniachtchi | 2782 | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | 0 | ½ | 0 | 0 | ½ | 0 | . | . | . | 4½ |
"Natürlich bin ich glücklich", waren Carlsen erste Worte bei der abschließenden Pressekonferenz, die länger dauerte als die vorangegangenen. "Ich habe nicht erwartet, dass es so abläuft. Ich denke, es war insgesamt eine sehr gute professionelle Leistung und es gibt nichts, was ich bereuen könnte. Ich bin einfach nur sehr zufrieden."
I think it was just a very good professional performance overall and I have just no regret at all.
—Magnus Carlsen
Das Fazit des Weltmeisters ist ähnlich wie bei Shankland, der die WM ebenfalls in zwei Hälften unterteilt: "Nach fünf Partien hatten wir fünf Remis und ich hatte nur sehr wenige Chancen, um mehr zu spielen", sagte Carlsen. "Dann hat es irgendwie Klick gemacht und dann, glaube ich, ist alles in meine Richtung gelaufen. Man erwartet nicht unbedingt, dass man bei einer Weltmeisterschaft einen solchen Lauf bekommt."
Nepomniachtchi nannte die Weltmeisterschaft eine "großartige Erfahrung", die man nur erleben kann, wenn man eine WM tatsächlich spielt. Seine Niederlage hatte "fast nichts mit Schach zu tun", meinte er und erklärte: "Das Match besteht natürlich aus vielen Aspekten, ich meine, es ist nicht nur die schachliche Vorbereitung, sondern auch die physische und psychologische. Alles ist extrem angespannt und sogar ein wenig angespannter, als ich erwartet hatte. Aber die Anspannung ist keine Entschuldigung dafür, dass ich einige einfache Dinge übersehen habe, die ich in keiner Blitzpartie übersehen würde. Nun, was soll ich jetzt sagen? Ich sollte wohl herausfinden, warum das passiert ist und mich verbessern."
Die sechste Partie, ein heroischer und historischer Kampf, der in beide Richtungen hätte ausgehen können, war die Schlüsselpartie dieser WM. Am Ende gewann Carlsen die längste Partie in der Geschichte der Weltmeisterschaft und übernahm die Führung. Danach war Nepomniachtchi nur noch ein Schatten seiner selbst.
Carlsen: "Ich denke, die sechste Partie war hervorragend und unabhängig von der Qualität aller Züge war es ein großartiger Kampf und ja, ich denke, sie hat einfach alles entschieden. Und das ist dann wirklich die Hauptsache, die ich von dieser WM mitnehme."
Abgesehen von diesem Wendepunkt in der WM war Carlsen aber auch der Meinung, dass er genauer gespielt habe: "Ich denke, in einfachen Stellungen mache ich sehr wenige Fehler und das hilft sowohl in taktischer als auch in positioneller Hinsicht. In den wenigen Stellungen, die sehr kompliziert waren, haben wir beide Fehler gemacht. Aber er hat den letzten Fehler gemacht und das ist im Schach entscheidend. Ich denke, der Hauptfaktor war, dass ich in einfachen Stellungen einfach besser gespielt habe."
Kurz nach der Partie, noch vor der Pressekonferenz, kommentierte Nepomniachtchi in einem Interview mit FM Mike Klein von Chess.com die Strategie seines Gegners: "Ich war wirklich verwirrt über die Strategie meines Gegners. Er hat nie wirklich versucht, zu pressen. Er hat nie wirklich versucht, etwas Echtes zu erreichen. Ich meine, er hat nur versucht, jede Stellung, egal ob mit Schwarz oder mit Weiß, auszugleichen. Aber manchmal reicht es ja, wenn man einfach nur keine Fehler macht und darauf wartet, dass der Gegner die Arbeit selbst erledigt."
He never actually tried to press, he never actually tried to play for something real."
—Ian Nepomniachtchi
Als Carlsen davon hörte, sagte er: "Ich denke, zu einem bestimmten Zeitpunkt kann es die beste Strategie sein, einfach nur abzuwarten. Wenn man weiß, dass man in Führung liegt, kann es der beste Gewinnplan sein, einfach nur seriös und solide zu spielen."
Carlsen stimmte auch zu, dass er konservativer gespielt hatte, als vor drei Jahren: "Mit Weiß würde ich nicht unbedingt sagen, dass ich besonders konservativ war. Da habe ich zumindest einige Varianten ausprobiert und versucht zu spielen. Man kann aber anhand vieler meiner Entscheidungen sehen, dass ich, als es hart auf hart kam, sehr konservativ gespielt habe. Jetzt im Nachhinein kann ich aber sagen, dass es ziemlich gut funktioniert hat."
Dubai scheint für Carlsen ein gutes Pflaster zu sein. Er gewann dort 2004 den Großmeistertitel, 2014 sowohl die Schnellschach- als auch die Blitzweltmeisterschaft und nun die Weltmeisterschaft im klassischen Schach. Dubai wurde, nachdem Kasachstan sich zurückziehen musste, auch als möglicher Austragungsort für die diesjährige Schnellschach- und Blitz-Weltmeisterschaft (26.-30. Dezember) genannt, aber dann fiel die Wahl auf die polnische Hauptstadt Warschau. Carlsen wird dort auf jeden Fall antreten und versuchen, auch diese beiden Titel zu verteidigen.
— Peter Heine Nielsen (@PHChess) December 10, 2021
Carlsen's team consisted of Peter Heine Nielsen, Jorden van Foreest(!), Daniil Dubov, Jan Gustafsson, and Laurent Fressinet.
Ein Journalist erinnerte Carlsen an einen Tweet, den er abgesendet hatte, nachdem er Sotschi 2014 gewonnen hatte (die zweite Weltmeisterschaft gegen Vishy Anand). Dieser lautete "zwei erledigt, fünf stehen noch an". Das bedeutete wohl, dass er Rekordweltmeister werden wollte und auf die Frage, ob das immer noch sein Ziel wäre, antwortete Carlsen etwas mysteriös: "Wir werden sehen."
Eine rätselhafte Antwort gab der Weltmeister auch auf die Frage, ob er seinen Titel irgendwann kampflos abgeben wird, oder ob er damit rechnet, ihn irgendwann gegen einen Herausforderer zu verlieren. "Das ist eine sehr gute Frage. Ich kann sie aber jetzt nicht beantworten." Hat Carlsen damit angedeutet, seinen Titel vielleicht kein weiteres Mal verteidigen zu wollen? Wahrscheinlich nicht - obwohl es nicht das erste Mal wäre, dass er seine Titelverteidigung infrage stellt.
Ganz besonders, wenn Alireza Firouzja das Kandidatenturnier gewinnen sollte, wäre es nur schwer vorstellbar, dass Carlsen die WM nicht spielen möchte. Ein Reporter fragte ihn, was er von dem französisch-iranischen Wunderkind halte, und Carlsen sagte: "Ich muss sagen, ich war von seiner Leistung beim Grand Swiss und bei der Team-Europameisterschaft wirklich sehr beeindruckt und ich würde sagen, das hat mich mehr als motiviert als sonst etwas."
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Weitere Berichte von der WM:
- FIDE World Championship Officially Opened After Press Conference Clash Of Frenemies (englisch)
- Carlsen-Nepomniachtchi: Das sagen die Experten
- Der Champion: Magnus Carlsen
- Der Herausforderer: Ian Nepomniachtchi
- Alle Weltmeister (englisch)
- Die FIDE Schach-WM 2021: Alle Informationen
- Partie 1 - Nepo mit Weiß - Spanische Eröffnung - Remis
- Partie 2 - Carlsen mit Weiß - Katalanische Eröffnung - Remis
- Partie 3 - Nepo mit Weiß - Spanische Eröffnung - Remis
- Partie 4 - Carlsen mit Weiß - Russische Verteidigung - Remis
- Partie 5 - Nepo mit Weiß - Spanische Eröffnung - Remis
- Partie 6 - Carlsen mit Weiß - Katalanische Eröffnung - Carlsen gewinnt
- Partie 7 - Nepo mit Weiß - Spanische Eröffnung - Remis
- Partie 8 - Carlsen mit Weiß - Russische Verteidigung - Carlsen gewinnt
- Partie 9 - Nepo mit Weiß - Englische Eröffnung - Carlsen gewinnt
- Partie 10 - Carlsen mit Weiß - Russische Eröffnung - Remis