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Der Deutsche Schachbund in der Krise - In der Kasse fehlen 500.000 Euro
Der Präsident des deutschen Schachbunds: Ullrich Krause. Foto: DSB.

Der Deutsche Schachbund in der Krise - In der Kasse fehlen 500.000 Euro

Leon_Watson
| 1 | Chess.com Nachrichten

Mit mehr als 87.000 Mitgliedern und über 2.400 Vereinen ist der Deutsche Schachbund (DSB) einer der größten Schachverbände der Welt, aber nach jahrelangen Machtkämpfen, angeblichem Missmanagement und verschiedenen Kontroversen kämpft dieses einst stolze Flaggschiff des europäischen Schachs inmitten einer Reihe von Skandalen darum, über Wasser zu bleiben.

Am Donnerstag, dem 27. April, wurde ein Turnierorganisator namens Dr. Dirk Jordan in 27 Fällen im Zusammenhang mit Bestechung und Untreue zwischen 2015 und 2018 verurteilt. Er wurde vom DSB angezeigt, weil er im Rahmen der Organisation der Deutschen Amateurmeisterschaft Provisionen von Hotels angenommen hatte . Auch Dr. Jordans Frau Martina wurde wegen "vorsätzlicher Geldwäsche" zu einer Geldstrafe von 4.500 Euro verurteilt.

Doch dieser Fall ist nur der jüngste Schlag ins Gesicht des deutschen Schachs.

Beim DSB scheinen auch mindestens 500.000 Euro aus den Kassen verschwunden zu sein und dieses Schwarze Loch in der Kasse ist so groß, dass es sogar die Existenz des DSB bedroht.

Former teammates GM Matthias Bluebaum and Georg Meier in Batumi, 2018. Photo: Maria Emelianova/Chess.com
Matthias Blübaum und Georg Meier bei der Schacholympiade 2018 in Batumi. Foto: Maria Emelianova/Chess.com

Der Skandal wurde erstmals im Februar publik, nachdem der einflussreiche deutsche Schachblog "Perlen vom Bodensee" unter der Leitung von Conrad Schormann Screenshots eines Videos mit dem Titel "Präsidiumssitzung" veröffentlichte, in dem Besorgnis über die Finanzen des DSB geäußert wurden.

Am 24. Februar gaben DSB-Präsident Ullrich Krause und Vizepräsident Lutz-Rott Ebbinghaus die offiziellen Zahlen bekannt und erklärten, dass die Reserven des DSB bald auf 82.000 Euro sinken würden. Mitte 2020 hatte der DSB noch knapp 700.000 Euro auf dem Konto gehabt.

Für die hohen Verluste machten Krause und Ebbinghaus Fehlkalkulationen, unerwartete Mehrkosten und die Inflation verantwortlich.

Das war aber noch nicht das Schlimmste, denn sie mussten auch eingestehen, dass der für das laufende Jahr bereits eingeplante Verlust in Höhe von 89.500 Euro auf mehr als 300.000 Euro revidiert werden muss. Infolgedessen steht der DSB nun vor einem finanziellen Zusammenbruch.

Vier Tage später erreichte die deutschen Schachfans die nächste Hiobsbotschaft. Jetzt wurde der deutsche Schachgipfel 2023, der eigentlich im Juli in Braunschweig hätte stattfinden sollen, abgesagt, denn nachdem die Stadt Braunschweig von der finanziellen Schieflage des DSB gehört hatte, hatte sie überraschend die vom DSB erwartete Zusage für Fördermittel nicht gegeben.

Das war ein Hammerschlag für das deutsche Schach, denn der deutsche Schachgipfel umfasst die beiden traditionellsten Turniere des Verbandes: das German Masters und das Damen-Masters. Und falls kein neuer Ausrichter gefunden wird, werden beide Turniere in diesem Jahr nicht stattfinden. Gleiches gilt für die deutschen Meisterschaften in den Kategorien Einzel, Blitz, Senioren und Behinderte.

Während dies geschah, hat das deutsche Schach sowohl auf Basis- als auch auf Eliteebene gelitten. Obwohl das Schach weltweit seit 2020 einen nie dagewesenen Boom erlebt, der durch die Netflix Serie Das Damengambit noch weiter angeheizt wurde, ist dieser Boom in Deutschland oder zumindest beim DSB nicht angekommen. Die Mitgliederzahl des DSB in dieser Zeit sogar deutlich zurückgegangen und von über 93.000 Mitgliedern auf 87.672 gesunken.

Es gab auch Berichte darüber, dass wichtige Freiwillige den Verband in Scharen verließen - die Zahl ist jedoch unbekannt. Aber nicht nur Freiwillige sind desillusioniert. Im Jahr 2021 gab der deutsche Nationalspieler Georg Meier bekannt, dass er den Verband verlassen und für Uruguay spielen werde.

Auch andere Spitzenspieler drohten damit, unter der Führung des DSB nicht mehr für Deutschland spielen zu wollen. Meier ging sogar so weit, einen von zwölf Nationalspielern unterzeichneten offenen Brief an den DSB zu initiieren, in dem sie die Entlassung des damaligen Nationaltrainers Dorian Rogozenco forderten.

Auch an der Verbandsspitze zeichnet sich ein Vakuum ab. Krause hat das Amt seit 2017 inne und sollte auf dem DSB-Kongress am 20. Mai zurücktreten, allerdings ohne erkennbaren Nachfolger.

In einer weiteren schockierenden Ankündigung zog der potenzielle Retter des DSB seine Kandidatur zurück. Wadim Rosenstein, der Gründer und CEO der WR Group, kam scheinbar aus dem Nichts und richtete im Februar in Düsseldorf das mit Superstars besetzte WR Masters aus. Für dieses Turnier, das Levon Aronian gewann, stellte er ein Preisgeld von 130.000 Euro bereit und kurz darauf gab er seine Absicht bekannt, für die DSB-Präsidentschaft kandidieren zu wollen.

Nachdem Fotos aufgetaucht waren, die ihn beim Spielen mit dem gesperrten russischen Großmeister Sergey Karjakin zeigten, sah sich Rosenstein in den sozialen Medien einer gewissen Kritik ausgesetzt, wurde aber von vielen als einzige Rettung für das deutsche Schach angesehen.

Rosensteins Rückzug, folgte einer neuen Name. Jetzt bewarb sich WIM Ingrid Lauterbach, eine FIDE-Schiedsrichterin, die von ihrem Job bei der Deutschen Bank beurlaubt ist, für das Amt des DSB-Präsidenten und sie ist nun die Favoritin für den Posten. Damit könnte der DSB nun erstmals von einer Engländerin geleitet werden. Auf Twitter nannte sie Rosenstein eine "hervorragende Kandidatin".

Schormann, der für Perlen vom Bodensee jeden dieser Schritt verfolgte, sagte gegenüber Chess.com, die Situation sei so schlimm geworden, dass es Zeit für einen "Reboot" wäre.

"Ich habe natürlich keinen Überblick über die gesamten 146 Jahre der Geschichte des deutschen Schachbundes, aber soweit ich weiß, ist das beispiellos. Wir hatten einen Skandal nach dem anderen und eine Katastrophe nach der anderen und das schließt die Pleite sogar noch aus."

"Wir sind jetzt eine Föderation ohne Geld und mit vielen Skandalen und Menschen, die miteinander streiten. Es ist so viel los, dass es jetzt besser wäre, den ganzen Laden dichtzumachen und neu zu beginnen."

Was aber ist genau schiefgelaufen?

Ein Artikel der Bild verweist auf "den Professor" und bezieht sich damit auf den ehemaligen Geschäftsführer des DSB, Marcus Fenner.

Fenner wurde 2018 in die DSB aufgenommen, nachdem er aus den USA nach Deutschland zurückgekehrt war, wo er angeblich beim berühmten Marshall Chess Club in New York den Posten des Geschäftsführers innehatte.

Bei einigen schrillten da sofort die Alarmglocken.

"Er kam vom Marshall Chess Club und hat wirklich einen großen Eindruck auf die, sagen wir mal, eher mittelmäßigen Schachspieler gemacht", sagte Schormann. "Sie waren froh, ihn gefunden zu haben und gaben ihm sofort die Stelle. Dabei hatte er lediglich ein Bewerbungsschreiben geschickt."

"Sehr früh wurde jedoch offensichtlich, dass mit diesem Kerl etwas nicht stimmte. Schon bald war keinerlei Kritik nicht mehr erlaubt, obwohl es innerhalb des Verbandes schon fast zu einer Revolution kam."

Tatsächlich kritisierte Georg Meier im Jahr 2020 die Führung öffentlich auf Twitter:

Fenner wechselte dann in die Rolle des "geschäftsführenden Direktors", verließ den DSB jedoch im September 2022. Nach den finanziellen Enthüllungen werden nun Fragen zu seiner Amtszeit gestellt.

In einer Erklärung gegenüber Chess.com sagte ein DSB-Sprecher: "Nach dem Ausscheiden unseres ehemaligen Geschäftsführers im September 2022 stellte unsere neue Geschäftsführerin Dr. Anja Gering Ende 2022 fest, dass die Zahlen im Haushalt des Deutschen Schachbundes nicht der tatsächlichen Einnahmen- und Ausgabensituation entsprachen."

"Für das Jahr 2022 blieben die geplanten nennenswerten Umsätze aus und viele Positionen erwiesen sich als teurer als erwartet."

Der DSB machte dafür die Inflation, 100.000 Euro Verlust beim Deutschen Schachgipfel 2022 und 60.000 Euro Ausgaben für "zusätzliche Projekte", die nicht gegenfinanziert wurden, verantwortlich. Er fügte hinzu, dass eine Erhöhung der Mitgliedsbeiträge um drei Euro von 10 auf 13 Euro für Erwachsene vorgeschlagen wurde, um die Lücke für 2024 zu schließen. Eine Mitgliederversammlung soll darüber abstimmen.

Chess.com kontaktierte auch Fenner persönlich. Über einen Anwalt lehnte er jede Verantwortung für die finanziellen Probleme des DSB ab.

Der Anwalt sagte: "Unser Mandant war seit August 2022 nicht mehr operativ tätig. Der in der Ulmer Kongressbroschüre vom Oktober 2022 veröffentlichte Zwischenergebnis zum 31.07.2022 lag mit -31.132,92 Euro bei einem Kontostand von 542.279,72 Euro deutlich über dem Kontostand, als zum Zeitpunkt Anstellung unseres Mandanten."

"Nach dem Ausscheiden unseres Mandanten scheinen sich die Finanzen desaströs entwickelt zu haben. Daher ist der Vorwurf, dass unser Mandant in irgendeiner Weise für diese Entwicklung verantwortlich sei, in keiner Weise nachvollziehbar und auch nicht durch Beweise untermauert. Nach seinem Ausscheiden hat unser Mandant seinem Nachfolger und dem Präsidenten nachweislich ausführliche Statusberichte übermittelt und immer wieder angeboten, auch in Zukunft für Auskünfte und Hilfe zur Verfügung zu stehen. Dieses Angebot wurde nicht angenommen."

Fenner selbst fügte hinzu: "Ich bin zutiefst betrübt über die katastrophalen Entwicklungen beim GCF nach meinem Weggang. Diese stehen in keinem Zusammenhang mit meiner Arbeit als Geschäftsführer. Ich persönlich bin fest davon überzeugt, dass einige der Entwicklungen, insbesondere im Finanzbereich, eher auf mein Ausscheiden zurückzuführen sind und hätten vermieden werden können. Seit 2019 gibt es, motiviert durch mehrere Entscheidungen des Vorstands, an denen ich beteiligt war, eine Rufmordkampagne gegen mich."

Auch Michael S. Langer, seit 16 Jahren Präsident des Niedersächsischen Schachverbandes, sagte gegenüber Bild: "Für diese Katastrophe wurden mir noch keine völlig nachvollziehbaren Gründe genannt. Das Geld war da. 2019 waren es noch über 600.000 Euro. Der Landtag Niedersachsen hat gemeinsam mit Württemberg und NRW einen Antrag auf Bestellung einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gestellt."

Schormann sagt dazu: "Ich wünsche mir wirklich, dass ein Unabhängiger die Antworten auf diese Fragen sucht und findet."

Der 1877 in Leipzig gegründete DSB ist einer der größten Schachverbände der Welt. Es hat zwei Weltkriege und die Teilung seines Landes überstanden und so großartige Schachspieler wie Emanuel Lasker und Vincent Keymer hervorgebracht.

Aber wird der DSB das Jahr 2023 überleben? Wir werden es sehen.

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