News
Vachier-Lagrave geht beim Tata Steel India in Führung - Keymer erlebt einen schwarzen Tag
Maxime Vachier-Lagrave. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Vachier-Lagrave geht beim Tata Steel India in Führung - Keymer erlebt einen schwarzen Tag

VSaravanan
| 0 | Berichterstattung von einem Schach-Event

Maxime Vachier-Lagrave hat am zweiten Tag des Tata Steel Chess India Open Rapid 2023 die alleinige Tabellenführung übernommen. Nach 5 Runden lag allerdings noch Teimour Radjabov in Führung, aber nachdem er sich gegen Vidit Santosh Gujrathi in der letzten Partie des Tages geschlagen geben musste, fiel er auf den zweiten Platz zurück.

Einen völlig gebrauchten Tag erwischte allerdings Vincent Keymer. Nach Niederlagen gegen Vachier-Lagrave und Nodirbek Abdusattorov war er ins untere Mittelfeld abgerutscht und das abschließende Remis gegen Pentala Harikrishna half ihm dann auch nicht mehr wirklich weiter.

Der letzte und entscheidende Tag des Schnellschach-Turniers beginnt heute, am 7. September, um 11:30 Uhr und ab morgen beginnt dann das Blitz-Turnier.

So könnt Ihr beim Tata Steel India Chess Open Rapid & Blitz zusehen:

Wir übertragen das Tata Steel Chess India Rapid and Blitz live und in voller Länge mit fachkundigen Kommentaren von Steve Berger auf Chess.com/TV, Twitch und YouTube.

Hier seht Ihr die Aufzeichnung der Übertragung vom Mittwoch:

Vachier-Lagrave besiegt (nicht nur) Vincent Keymer

Vachier-Lagrave zeigte gleich in der ersten Partie des Tages gegen Vincent Keymer eine positionelle Meisterleistung und sein Springermanöver ähnelte dem Klassiker Petrosian-Reshevsky aus dem Jahr 1968. Im damenlosen Mittelspiel zeigte er dann ein bemerkenswertes Gespür für den König und verteidigte den c4-Bauern in Erwartung eines bevorstehenden Endspiels mit 20.Kd2 und 22.Kc3!

Und danach manövrierte er seinen Springer auf das Feld f4, von wo aus dieser das halbe Brett dominierte.

Die Kirsche auf dem Sahnekuchen war dann das entzückende Qualitätsopfer 31.Tdxd4, das die Verwertung des Vorteils im Endspiel einläutete:

Großmeister Rafael Leitao hat sich diese Partie ganz genau angesehen und für uns analysiert.

Als ich Vachier-Lagrave nach der Partie an den Petrosian-Klassiker ansprach, war er sichtlich begeistert: "Das ist etwas, das Spieler wie ich, die nicht ihr ganzes Leben am Computer verbracht haben, erkennen können. Besonders bei diesem Sg1-Manöver sah ich, dass Vincent die Fortsetzung 24. Sh3 mit 23...Lg2 verhindern hätte sollen."

Hatte er das Qualitätsopfer im Voraus geplant? "Dieses Qualitätsopfer war ganz natürlich! Ich wusste, dass es eine Option war, aber hatte keine Ahnung, ob es tatsächlich gewinnen würde. Ich dachte, Vincents Bauern wären danach so schwach, dass ich Druck ausüben sollte und ich habe es geschafft."

Am Vortag hatte er eine verrückte, taktische Partie gegen Vidit. Heute hat er solide gespielt. Warum die Änderung des Ansatzes? Er antwortete mit einem Lächeln: "Es war nicht mein Plan, eine so verrückte Partie gegen Vidit zu spielen. Das kann im Lg5 Najdorf aber immer passieren – es kann verrückt werden. Die Partie war für beide Seiten ziemlich schnell aus dem Ruder gelaufen."

In seiner Partie gegen Nodirbek Abdusattorov zeigte er dann erneut ein bemerkenswertes Gespür für seinen König.

Vachier-Lagrave spielte zuerst 23.Kf2 und ließ dann 30.Kg3 folgen, wobei die Damen in dieser Partie noch auf dem Brett waren – subtil und schön anzusehen. Wie gelang es ihm, solche Spielzüge auf das Brett zu zaubern? Vachier-Lagrave bestand darauf, dass er dafür logische Gründe hatte: "Oh ja, Kf2 kontrolliert natürlich die Felder f3 und g2 und gleichzeitig konnten meine Türme irgendwann auf die h-Linie kommen." Das sind doch herrliche Einblicke.

Noch mehr Springermanöver

Auch in der Partie zwischen Pentala Harikrishna und Radjabov bekamen wir ein bemerkenswertes Springermanöver zu sehen.

Harikrishna erkannte die Notwendigkeit, seine Streitkräfte am Königsflügel zu mobilisieren und manövrierte seinen Springer mit 19.Se2, 20.Sg3 und 22.Sf5 nach f5, um seinen Gegner unter Druck zu setzen. Später, als sich das Geschehen auf den Damenflügel verlagerte, leitete er seinen Springer erneut um.

Harikrishna hatte bemerkt, dass er am Königsflügel nicht vorankommen würde und beschloss, seinen Springer mit 24.Sg3, 27.Sf1, 28.Sd2 und 29.Sb3 auf den Damenflügel zu schicken, von wo aus er die Kontrolle über das Feld c5 erlangte und ihm einen leichten Vorteil verschaffte. Allerdings glitt ihm die Partie in Zeitnot durch die Hände und Radjabov konnte gewinnen.

In der fünften Runde fand Harikrishna gegen den jungen Praggnanandhaa bereits in der Eröffnungsphase der Partie einige kreative Springermanöver:

Durch die unentschlüsselbaren Züge 7...Sa5, 8...Sc6, 9...Sb4, 11...Sc6 erlangte Harikrishna eine originelle Stellung im Mittelspiel, die er letztendlich auch gewinnen konnte.

Eröffnungsabenteuer

Harikrishnas Springerabenteuer in der Eröffnung war aber kein Einzelfall – wir bekamen viele weitere entzückende kreative Ideen zu sehen.

Auf den höchsten Niveaus ist es gängige Praxis, über ein spezielles Eröffnungsrepertoire für Schnell-, Blitz- und Bullet-Schach zu verfügen. Anders als im klassischen Schach kann man hier kreative Idee ausprobieren, die zwar schlüssig aussehen, aber von Schach-Engines missbilligt werden. Schließlich hat der Gegner aufgrund der begrenzten Bedenkzeit nicht die Möglichkeit, eine solche Idee zu widerlegen. Dadurch hat sich der Umfang an Eröffnungen der jungen Spielergeneration erheblich vergrößert.

Während der Live-Übertragung nannte Viswanathan Anand das Aufkommen von Schach-Engines als Grund für diese Entwicklung. "Die Palette der Züge, die man in Betracht ziehen kann, ist viel größer geworden. Computer haben allen gezeigt, dass viel mehr verschiedene Züge möglich sind. Es ist kaum zu glauben, wie die Eröffnungstheorie einst aussah – sie war sehr, sehr eng. Früher dachte man, es gäbe nur zwei Züge in einer Stellung und jetzt gibt es mindestens 10!"

Für viele Zuschauer ist es eine interessante Beschäftigung, ungewöhnliche Züge in Schnellschach-Eröffnungen zu entdecken und auch am zweiten Tag kamen sie voll auf ihre Kosten.

Arjun Erigaisi ist schon bekannt für seine Eröffnungsexperimente bei kurzen Bedenkzeiten und in der vierten Runde startete er eines gegen Alexander Grischuk.

Die Zugreihenfolge 1.d4 Sf6 2.c4 b6 3.Sf3 Lb7 4.g3 Lxf3 sah gelinde gesagt unorthodox aus.

In einer regulären Samisch-Variante der Nimzo-Indischen Verteidigung war Praggnanandhaas 8...h6 ungewöhnlich und Grischuk reagierte darauf mit dem aggressiven Zug 9.h4, woraufhin die Stellung wild wurde. Die Partie endete nach 66 Zügen Remis.

 

Gukesh schien Arjun mit 3.b3 in einer regulären sizilianischen Verteidigung mit seinen eigenen Waffen schlagen zu wollen Auch diese Partie endete nach ausgeglichenem Spiel im 41. Zug Remis.

Und auch Abdusattorovs 2...g6 war unorthodox, hat aber zumindest einen Namen – der Hyperbeschleunigte Drache. Diese Partie haben wir uns aber schon weiter oben angesehen.

Freuden und Tragödien

Nach seiner ereignisreichen Niederlage gegen Vachier-Lagrave am Vortag zeigte Vidit heute eine bessere Leistung. Seine Partie in der sechsten Runde gegen den zu diesem Zeitpunkt führenden Radjabov gewann er mit einem kühnen Angriff am Königsflügel.

Vidit ist eigentlich ein strategischer Spieler, aber in Kalkutta spielte in den meisten seiner Partien aggressiv. War das seine Strategie?

"Das ist nicht nur bei diesem Turnier so. Ich habe generell das Gefühl, dass sich mein Spiel im letzten Jahr etwas verändert hat. Wahrscheinlich ist es nur beim Weltcup und hier deutlicher sichtbarer als zuvor. Es war eine allmähliche Veränderung. Ich spiele jetzt mit weniger Hemmungen."

In einem Chat mit Daniel Rensch während der Pro Chess League 2023 hatte Vidit bereits verkündet: "Das ist Vidit 2.0". War das eine bewusste Entscheidung und warum?

"Es war eine bewusste Entscheidung. Wahrscheinlich, weil ich eine Weile stagniert hatte. Ich musste die Dinge aufpeppen. Ich wollte ein paar Dinge ausprobieren, um zu sehen, was funktioniert. Das ist aber nur eines dieser Dinge. Es fügt meinem Spiel im Grunde genommen eine neue Waffe hinzu."

Hat er auf irgendeine bestimmte Weise trainiert, um aggressiver zu werden?

"Nicht wirklich. Ich hatte Probleme mit einem bestimmten Stellungstyp, den ich gezielt trainiert habe. Aber hauptsächlich war es eine Menge psychologisches Training – nicht Schach. Viele Leute haben ihren Teil dazu beigetragen. Sportpsychologen, Trainer und sogar meine Familie haben dabei eine große Rolle gespielt. Die Veränderung war zuerst so subtil, dass sie schwer zu erkennen war. Jetzt ist sie offensichtlich, aber über einen Zeitraum von einem Jahr hinweg war sie nicht offensichtlich – es ist eine allmähliche Veränderung." .

Vidit 2.0. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Um mit unserem Thema über Springermanöver fortzufahren: Radjabovs Springermanöver konnten Grischuks Angriff am Königsflügel nicht aufhalten. Seine Stellung schien sich langsam zu verschlechtern, bevor Grischuk einen bemerkenswerten Blackout erlitt.

Teimour Radjabov (links) und Alexander Grischuk. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Zuvor hatte aber Grischuk von einem Versehen von Arjun profitiert.

Nach einem schwierigen ersten Tag schien Harikrishna am zweiten Tag in besserer Verfassung zu sein und erreichte in seiner Partie in der sechsten Runde gegen Keymer eine gewonnene Stellung. Allerdings erlaubte er versehentlich eine dreifache Stellungswiederholung.

Weiß muss auf Schachs des schwarzen Springers achten, aber nach 83.Kg1 Tg3+ und 84.Kg2 hätte er gewonnen, da 84...Tf3+ aufgrund des schönen 85.Dxf3 gxf3 und 86.a6 nicht möglich ist, weil der a-Bauer nicht mehr aufgehalten werden kann.. Stattdessen wiederholte er die Stellung zum dritten Mal und ermöglichte Keymer so den Anspruch auf ein Remis. Uns solls Recht sein

Pentala Harikrishna (links) mit seinem Sekundanten Felix Blohberger. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Alle Partien des zweiten Tages

Die Tabelle nach 6 von 9 Runden

Am Donnerstag stehen die Runden sieben bis neun auf dem Programm.

Die Paarungen der 7. Runde


Das Tata Steel Chess India Rapid and Blitz 2023 ist eine Elite-Turnierserie, bei der indische Spitzenspieler und andere Elite-Schachspieler aus der ganzen Welt gegeneinander antreten. Die Veranstaltung begann am 31. August mit dem Damenturnier, das bereits abgeschlossen ist und von Ju Wenjun gewonnen wurde. Sowohl bei den Damen als auch im Open wird sowohl Schnellschach als auch Blitz gespielt. Die Schnellschachpartien haben eine Bedenkzeit von 25+10 und im Blitz ist eine Bedenkzeit von 3+2 angesetzt. Beim Schnellschach spielt jeder gegen jeden und im Blitz spielt jeder Spieler 2 Partien gegen jeden Gegner.


Weiter Berichte aus Indien:

Tag 6: Keymer übernimmt beim Schnellschach die Führung

Und hier sind die Berichte vom Damenturnier (alle auf Englisch):

Mehr von IM VSaravanan
6-Siege-Serie verhilft Carlsen zum 7. Titel; Gunina schlägt Kosteniuk

6-Siege-Serie verhilft Carlsen zum 7. Titel; Gunina schlägt Kosteniuk

Dubov, Nepomniachtchi bestraft, 6 in Führung; Gunina glänzt mit 8,5/9

Dubov, Nepomniachtchi bestraft, 6 in Führung; Gunina glänzt mit 8,5/9