News
Carlsen gewinnt den FIDE Weltcup 2023
Carlsen ist der König. Foto: Stev Bonhage/FIDE.

Carlsen gewinnt den FIDE Weltcup 2023

beccrajoy
| 0 | Berichterstattung von einem Schach-Event

Magnus Carlsen hat den FIDE Weltcup 2023 und damit jeden bedeutenden Titel im klassischen Schach gewonnen. Der fünffache Weltmeister gewann seinen ersten Weltcup, indem er Praggnanandhaa Rameshbabu im Schnellschach-Tiebreak mit 1,5:0,5 besiegte.

Im Spiel um den dritten Platz besiegte Fabiano Caruana Lokalmatador Nijat Abasov überzeugend mit 2:0.

Obwohl das Finale an einem Donnerstagnachmittag und damit nicht gerade zur Prime-Time terminiert war, wurde es von über 100.000 Schachfans live verfolgt!

   So haben wir den Weltcup übertragen:
Wir übertrugen den kompletten Weltcup auf den deutschsprachigen Chess24-Kanälen auf Twitch und Youtube, mit fachmännischen Kommentaren von Großmeister Ilja Zaragatski und IM Georgios Souleidis, alias "The Big Greek".
Alle Partien des gesamten Turniers findet Ihr auf unseren Eventseiten für das Open und die Damen. Hier seht Ihr die Aufzeichnung der Übertragung vom letzten Spieltag:
Kommentator: The Big Greek

Carlsen-Praggnanandhaa: 2.5-1.5

Praggnanandhaa and Carlsen at the board
Die letzte Partie des Finales. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

25 Tage nach der ersten Partie des FIDE-Weltcups 2023 saßen sich im Finale noch zwei Spieler gegenüber und da beide kurz vor einer monumentalen persönlichen Leistung standen, war die Anspannung spürbar. Praggnanandhaa konnte der jüngste, am niedrigsten gesetzte und erste indische Spieler in der Geschichte werden, der den Weltcup gewinnt und Carlsen konnte endlich den einzigen wichtigen Titel gewinnen, der ihm in seiner glorreichen Karriere bisher verwehrt geblieben war.

Der indische Großmeister, der bei diesem Turner auch die Schallmauer von 2700 Elo durchbrochen hatte, entschied sich in der ersten Partie für eine italienische Eröffnung mit einem frühen a4. Seine Eröffnungswahl und Vorbereitung wurden von den Kommentatoren gelobt und es war sein erfahrenerer Gegner, der direkt nach der Eröffnung unangenehme Probleme zu lösen hatte.

Nachdem beide Spieler einen Springerrückzug verpasst hatten, der die beste Wahl der Engine war, rückte Carlsens König nach g7 vor, während die weiße Armee auf den Königsflügel zeigte. Während die meisten Spieler es nie wagen würden, ihren König in Richtung des Angriffs ihres Gegners zu bewegen, zeigte der ehemalige Weltmeister, dass er die Verteidigungskraft seines Königs verstand und sich nach seinem Zug war er sogar sichtlich entspannt.

Praggnanandhaa verspielte seinen Zeitvorteil, als er fast sieben Minuten damit verbrachte, seinen eigenen König nach h1 zu ziehen und es wurde spekuliert, dass er die schwarze Verteidigung mit 17...Df6 verpasst hatte. Psychologisch gesehen ist es schwer zu akzeptieren, wenn vielversprechende Gewinnchancen verpufft sind und im Schnellschach bleibt kaum Zeit, eine solche Wendung der Ereignisse zu verarbeiten.

Dem 18-Jährigen gelang es auf bemerkenswerte Weise, einen kühlen Kopf zu bewahren und im daraus resultierenden komplexen Endspiel gab die Silikonmaschine abwechselnd jedem Spieler mikroskopisch kleine Vorteile und kein einziges vorhergesagtes Ergebnis war klar. Und dann befanden sich die Spieler im "Blitzmodus", in dem sich selbst ein Inkrement von 10 Sekunden pro Zug wie nichts anfühlt, wenn es um den Gewinn des Weltcups geht.

Black and white tunnel vision on Praggnanandhaa with Carlsen in the foreground
Unter Druck. Foto: Stev Bonhage/FIDE.

Als Praggnanandhaa dann mit sechs Sekunden auf der Uhr seinen a-Bauern nach vorne zog, nutzte Carlsen die sich daraus ergebende Gelegenheit. Sein Turm und seine Springer drangen in das weiße Lager ein und der zweite Inder der Geschichte, der sich für das Kandidatenturnier qualifizierte, stand vor der Aussicht, eine Figur zu verlieren oder Schachmatt gesetzt zu werden. Er entschied sich für eine dritte Option: Er gab auf.

Großmeister Rafael Leitao zeigt uns die Partie, mit der Carlsen den Grundstein zum Gewinn des Weltcups gelegt hat:

Gegen einen gut vorbereiteten Alapin-Spieler antreten zu müssen, ist der schlimmste Albtraum eines jeden, der mit den schwarzen Figuren gewinnen muss und für Praggnanandhaa war das in der zweiten Partie Realität. Es war eine gute Eröffnungswahl von Carlsen, der 6.Lc4 anstelle des von Arjun Erigaisi gegen Praggnanandhaa gespielten Zuges 6.dxc4 spielte.

Während der gesamten Partie hatte nur Weiß Gewinnchancen und als Carlsen seinen Bauern auf d5 vorgezogen hatte, war die Partie so gut wie vorbei. Wenige Spielzüge später nahm der Inder ein Remisangebot an und der historische Sieg war besiegelt.

Nach seinem beeindruckenden Spiel während des gesamten Weltcups war es für seine Fans schmerzhaft mit anzusehen, wie Praggnanandhaas Reise so endete, aber der indische Superstar hat im vergangenen Monat viele zusätzliche Fans gewonnen und bewiesen, dass er eine ernst zu nehmende Kraft ist. Seine Elo nähert sich allmählich seiner wahren Stärke und er hat noch viele vielversprechende Jahre vor sich.

Seine Leistung wurde vom indischen Premierminister Narendra Modi sowie von der indischen Schachlegende Viswanathan Anand gelobt.

Praggnanandhaa fährt mit $80.000 und einem garantierten Startplatz beim FIDE Kandidatenturnier 2024 nach Hause — metaphorisch gesehen, denn in 2 Tagen beginnt in Düsseldorf die Mannschafts-WM im Schnellschach.

Praggnanandhaa at the board
Praggnanandhaa. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Es scheint, dass gesundheitliche Probleme der Auslöser für den Erfolg diesem Weltcup waren, denn auch Aleksandra Goryachkina gab in ihrem Interview nach ihrem Sieg beim Weltcup der Damen zu, dass sie ebenfalls vor dem letzten Tiebreaks krank gewesen sei.

Am Ende überwand Carlsen harte Gegner, eine Lebensmittelvergiftung und ein schwindendes Interesse am klassischen Schach. Nach seinen eigenen Worten hat der Champion mit dem "Grand Slam" das Schachspiel vollendet.

Carlsen smiling at the board after the game as Praggnanandhaa and an arbiter look on.
The cherry on top of a lifetime of incredible chess achievements. Photo: Maria Emelianova/Chess.com.

Caruana-Abasov: 3-1

Dass sich ein Großteil der Aufmerksamkeit des Tages auf das Endspiel konzentrierte, lag an der Natur der Sache und nicht daran, dass es im "Spiel um Platz 3" an Action gemangelt hätte. Der erschöpfte Caruana von vor ein paar Tagen war nicht mehr wiederzuerkennen, denn der Amerikaner ließ seine beiden Siege über den aserbaidschanischen Großmeister scheinbar mühelos aussehen. Der Weltranglisten-Dritte bestätigte dann auch in seinem Interview nach dem kleinen Finale, dass er, getragen von seinem Comeback-Sieg in der zweiten klassischen Partie, mit Selbstvertrauen in seine schachlichen Fähigkeiten in die Tiebreaks gegangen war.

Caruana and Abasov at the board
Die Ruhe vor dem Sturm. Foto: Stev Bonhage/FIDE.

Abasov überraschte Caruana mit einem Trompowsky-Angriff, aber es war es keine besonders unangenehme Überraschung, da er sich darauf für sein Match in der zweiten Runde gegen Micheil Mtschedlischwili vorbereitet hatte. Mtschedlischwili entschied sich dann aber für das London-System und daher hatte Abasov keine Ahnung von der Vorbereitung des Amerikaners und mit dem Zug 10.Ld3 begannen die Dinge schief zu laufen.

Caruana investierte im Mittelspiel seine Zeit klug und verbesserte seine Stellung. Er hatte bessere Felder für seine Figuren und wie so oft führte die bessere Stellung zu taktischen Möglichkeiten. Ein Qualitätsopfer entfernte einen der weißen Verteidiger und die schwarzen Figuren drängten auf den feindlichen König zu. Dann ging Abasov auch noch die Bedenkzeit aus, aber keine Zeit der Welt hätte ihn und seine schwindende Armee retten können.

Auf Abruf mit den schwarzen Figuren gegen einen der Besten der Welt gewinnen zu müssen, ist keine beneidenswerte Situation – Caruana selbst erwähnte, wie selten ihm dies in vergangenen Turnieren gelungen war. Abasov kehrte zu seiner Hauptwaffe, dem Rossolimo, zurück und Caruana spielte die Hauptvariante, was Leko als "professionellen Ansatz" bezeichnete. In der Hauptvariante kann Schwarz durch präzises Spiel den Ausgleich ausgleichen, aber Weiß musste sich in dieser Partie ja keine Sorgen um den Ausgleich machen.

Abasov at the board
Nijat Abasov. Foto: Stev Bonhage/FIDE.

Abasov versuchte zwar, die Dinge mit 9...Sg4 aufzupeppen, was in einer Partie, die unbedingt gewonnen werden musste, verständlich war, aber sein Gegner ließ sich von dem Zug, den er als "dubios" bezeichnete, nicht täuschen und nach ein paar weiteren Fehltritten von Schwarz musste es sich für den aserbaidschanischen Schachmeister von 2017 wie ein schreckliches Déjà-vu angefühlt haben, denn es war schon wieder sein König, der einem Angriff ausgesetzt war. Er versuchte zwar noch einen letzten Trick, aber nachdem sich Caruana nicht täuschen hatte lassen, gab sich Abasov geschlagen.

Es war ein unglückliches Ende des Turniers für den Lokalmatador, der so namhafte Spieler wie Anish Giri, Peter Svidler und Vidit Gujrathi eliminieren konnte. Er kann und wird aber auf seine Gesamtleistung stolz sein und wenn Carlsen seine Einladung zum Kandidatenturnier tatsächlich ablehnt, wird dies für Abasov die Chance seines Lebens sein.

Was Caruana betrifft, beendete er das Turnier mit einem guten Ergebnis und ist froh, sich einen Platz im Kandidatenturnier gesichert zu haben. Er resümierte, dass er mit seinen klassischen Partien insgesamt zufrieden war, da einige wackeligen Momente bei einem solchen Turnier schwer zu vermeiden seien.

Caruana smiling as putting on headphones
Fabiano Caruana. Photo: Maria Emelianova/Chess.com.

Als er auf den Nachwuchs angesprochen wurde, sagte Caruana, dass er davon ausgeht, dass sie in den kommenden Monaten die Ratinglücke zu den aktuellen Topspielen schließen werden. Aber er glaubt, dass die Zeit für einen Generationswechsel noch nicht gekommen ist – er geht nicht davon aus, dass sie in naher Zukunft alle Events dominieren werden, aber er freut sich darauf, gegen neue Gegner zu spielen und die talentierten neuen Spieler bei weiteren Top-Events zu sehen.

In einem aufschlussreichen Interview in der Chess.com/Chess24 Übertragung sagte Carlsen, dass er das Gefühl habe, dass "die Zukunft des Schachs in guten Händen ist" und dass die Spieler, die zwischen 1990 und 1994 geboren wurden und das Schach schon seit gefühlten Ewigkeiten dominieren, in den Spielern die nach 2003 geboren wurde, gute Nachfolger zu haben scheinen. Das vollständige Interview, in dem er seine Gedanken zur Weltmeisterschaft, zum klassischen Schach und zur bevorstehenden Speed Chess Championship teilt, ist sehr empfehlenswert.

Am Ende des Weltcups lagen die Turnierleistungen von Carlsen und Caruana über 2800 und Carlsen gelang es definitiv, alle schlechten Eindrücke von seinem klassischen Schach zu zerstreuen, nachdem er zu Beginn des Jahres für seine Verhältnisse etwas schlechtere Ergebnisse erzielt hatte. Besonders Carlsen hat bei diesem Turnier vollständig überzeugt.

Seine harte Arbeit im letzten Monat brachte ihm vier Elo-Punkte ein und es ist verständlich, dass er es vorzieht, klassisches Schach nur zu besonderen Anlässen zu spielen. Caruana erzielte die gleiche Anzahl an Punkten und ist in der Live-Weltrangliste auf die Nummer 2 vorgerückt, während Abasov und Praggnanandhaa mit +31 bzw. +20,2 Punkten ebenfalls mehr als zufrieden sein werden.

Es war ein aufregender Monat für Schachfans und es ist irgendwie schade, dass der Weltcup jetzt zu Ende ist. Glücklicherweise mangelt es im Schachkalender aber nicht an Turnieren und die Helden des Weltcups werden uns in den kommenden Monaten zweifellos weiterhin unterhaltsames und lehrreiches Schach bieten, das wir verfolgen können.

Der Turnierbaum


Der FIDE Weltcup 2023 war ein K.-o.-Turnier im Matchformat. Jedes Match bestand aus zwei klassischen Partien und wenn es danach Unentschieden stand, entschied ein Schnellschach-Tiebreak über das Weiterkommen. Der Damen-Weltcup lief bis zum 21. August und das Open bis zum 24. August. Insgesamt gab es in Baku 2.5 Millionen US-Dollar zu gewinnen.


Weitere Berichte vom Weltcup

Mehr von WCM beccrajoy
Der FIDE Weltcup 2023 wird im Tiebreak entschieden

Der FIDE Weltcup 2023 wird im Tiebreak entschieden

Die erste Parie beim Weltcup-Finale endet Remis

Die erste Parie beim Weltcup-Finale endet Remis