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Nepomniachtchi hält mit Schwarz Remis
Ding Liren (links) und Ian Nepomniachtchi. Foto: Aleksandar Dimitrijevic/Chess.com.

Nepomniachtchi hält mit Schwarz Remis

JackRodgers
| 0 | Berichterstattung von einem Schach-Event

Ian Nepomniachtchi konnte in der zehnten Partie der FIDE Weltmeisterschaft 2023 relativ problemlos Remis halten und kam dem Titelgewinn damit einen weiteren Schritt näher.

Ding Liren kehrte zur englischen Eröffnung zurück und versuchte tapfer, die Dinge aus dem Gleichgewicht zu bringen, aber sein Gegner war der Aufgabe gewachsen und wickelte in ein Turm-Endspiel ab, in dem der Chinese keine Gewinnchance hatte. Nepomniachtchi führt jetzt mit 5,5:4,5  und ist nur noch zwei Punkte vom Weltmeistertitel entfernt.

Die elfte Partie beginnt am Montag, dem 24. April, um 11.00 Uhr.

So könnt Ihr bei der FIDE Weltmeisterschaft 2023 zusehen:
Wir übertragen alle Partien der FIDE Weltmeisterschaft 2023 mit Kommentaren von Steve Berger und interessanten Gästen wie Jan Gustafsson und Fiona Steil-Antoni auf Chess.com/TV, Twitch und YouTube. Die englischsprachige Übertragung findet Ihr auf https://www.youtube.com/@chesscomlive
Hier seht Ihr die Aufzeichnung der Übertragung der zehnten Partie:
Kommentator: Steve Berger

Vor Beginn der 10. Runde drehten sich die Spekulationen um die Bedeutung von Dings Ruhetag und insbesondere darum, ob er eine Vorbereitung zusammenstellen könnte, die die entschlossene Verteidigung von Nepomniachtchi herausfordern könnte.

Die Spekulation um die Auswirkungen des Leaks von Dings Trainingspartien wurden von Nepomniachtchi beendet. Er behauptete, dass sich seine eigene Vorbereitungsstrategie nicht wesentlich geändert habe, nachdem sich sein Team diese Partien "angesehen" habe. Er bekräftigte dies mit den Worten: "Ich versuche einfach meine Aufgabe zu erledigen. Diese Informationen haben daran nicht viel geändert."

Nepomniachtchi sagte, dass das Leak der Trainingspartien den Hype nicht wert wäre. Foto: Aleksandar Dimitrijevic/Chess.com.

Ein weiterer Faktor dieser WM ist der Einfluss von Großmeister Richard Rapport auf Ding Liren, aber in der zehnten Partie blieb die chinesische Nummer eins seinem gewohnten Stil treu und spielte eine klassische Eröffnung.

Kommentatorin Tania Sachdev sagte richtig voraus, dass Ding mit 1.c4 zu dem Eröffnungszug zurückzukehren würde, mit dem er die vierte Partie gewinnen konnte und die Stellung verwandelte sich schnell in die Nimzowitsch-Variante des englischen Vier-Springer-Spiels.

Nepomniachtchi war darauf angemessen vorbereitet und schaffte es sogar, den Weltranglisten-Dritten mit seinem neunten Zug zu überraschen. Der Zug 9.Lc5 wurde bislang erst viermal in Schachpartien auf Meisterniveau gespielt und bemerkenswerterweise war der bestbewertete Spieler, der diesen Zug zuvor gespielt hatte, kein anderer als Großmeister Rafael Leitao, der alle Partien dieser Weltmeisterschaft für uns analysiert.

Wie üblich verbrachte Nepomniachtchi viel Zeit in seinem Ruheraum und ließ Ding alleine am Brett sitzen. Foto: Aleksandar Dimitrijevic/Chess.com.

Der Zug brachte Ding aus dem Konzept. Später gab er zu, dass er davon völlig überrascht worden war, was auch durch die Tatsache belegt wurde, dass er danach 11 Minuten über seinen nächsten Zug nachdachte.

Unglücklicherweise für Ding war die resultierende Stellung nach 10.Kf8, was in den Augen vieler Zuschauer ein höchst ungewöhnlicher Zug war, eine Stellung, mit der Nepomniachtchi vertraut war. Tatsächlich hatte der Nummer zwei der Welt genau diese Stellung bei einem Titled Tuesday Turnier auf dem Brett gehabt. Da er in dieser Partie jedoch mit Weiß gespielt hatte, war dies Ding und seinem Team wohl entgangen.

Dings meisterhafte Rechenfähigkeit erlaubte es ihm aber, mit einem winzigen Vorteil durch das Mittelspiel zu kommen. Als Nepomniachtchi dann jedoch die Damen vom Brett bringen konnte, hatte er einige unternehmungslustige Bauern am Königsflügel. Der Damentausch hatte Nepomniachtchi zwar einen Bauern gekostet, aber die strukturellen Schwächen am weißen Damenflügel gaben ihm eine angemessene Kompensation für diesen Bauern.

Das daraus resultierende Endspiel, in dem sich jeweils zwei Türme, ein Läufer und mehreren Bauern duellierten, wurde von beiden Spielern als nahezu gleichwertig bezeichnet. Obwohl Ding später sagte: "Ich glaube, ich hatte einige Chancen im Endspiel", zeigte die schnelle Spielgeschwindigkeit beider Spieler deren Zuversicht, dass sie auf ein Remis zusteuerten.

Ding Liren in voller Konzentration. Foto: Aleksandar Dimitrijevic/Chess.com.

"Schwarz hat enorme defensiven Ressourcen", sagte der ehemalige WM-Herausforderer Fabiano Caruana, der von Anfang an damit gerechnet hatte, dass die Partie ein friedliches Ende finden würden. Um zu demonstrieren, dass Schwarz den Bauern kompensiert, bat Caruana die Zuschauer, sich alle Bauern auf weißen Feldern anzusehen. Dann würden sie schnell feststellen, dass sie von den schwarzen Figuren leicht ins Visier genommen werden können.

Es war dann keine große Überraschung, dass Figuren vom Brett zu fliegen begannen, als sich die Kämpfer der 40-Züge-Marke näherten. Im 37. Zug, als beide Spieler nur noch einen Turm und drei Bauern hatten, konnte Ding war einen von Nepomniachtchis Bauern gewinnen, aber das daraus resultierende Endspiel war ein einfach zu haltendes Endspiel mit Turm und zwei Bauern gegen Turm und einem Bauern.

Erst zum zweiten Mal bei einer Schachweltmeisterschaft überhaupt duellierten sich die Spieler so lange, bis nur noch ihre nackten Könige auf dem Brett waren.

Was diese Partie so unglaublich machte, ist die Genauigkeitsbewertung der Chess.com Partieanalyse. Sie zeigt 98,6 Prozent für Ding und 98,7 Prozent für Nepomniachtchi. In dieser Partie hat wirklich keiner der beiden Spieler einen Fehler gemacht.

Großmeister Rafael Leitao zeigt uns die Partie.

Und The Big Greek hat sich diese Partie natürlich auch angesehen und für uns analysiert:

Nachdem sich die Spieler im 45. Zug die Hände geschüttelt hatten, verließ Ding sehr schnell die Bühne. Obwohl er keine offensichtlichen Anzeichen von Ärger zeigte, war er mit dem Ergebnis zweifellos unzufrieden. Da nur noch vier Partien zu spielen sind, steigt der Druck auf den Chinesen jetzt mit jeder weiteren Runde.

Ding Liren läuft die Zeit davon. Foto: Aleksandar Dimitrijevic/Chess.com.

Da Ding in Runde 11 mit den schwarzen Steinen spielen muss, haben viele das Gefühl, dass die Chancen gegen ihn stehen. Hikaru Nakamura sagte bei seiner Zusammenfassung des Tages auf YouTube, dass er das Gefühl habe, dass Ding "die Puste ausgeht".

Bis jetzt steckte diese erfrischende und unterhaltsame Weltmeisterschaft aber voller Überraschungen und sollte es am Montag zu einer weiteren Überraschung kommen, würde auf der Anzeigetafel plötzlich eine 5,5:5,5 aufleuchten.

Im Moment sind Ruhe und Vorbereitung die beiden wichtigsten Elemente für Ding, wenn er ein erneutes Comeback schaffen will. Nepomniachtchi hingegen wird in Bezug auf seine Chancen, sich mit einem Sieg in der 11. Runde zwei Matchbälle zu erspielen, optimistisch sein.

Ian Nepomniachtchi kommt seinem großen Traum, Weltmeister zu werden, immer näher. Foto: Aleksandar Dimitrijevic/Chess.com.

Der Spielstand nach 10 von maximal 14 Partien

Name Elo 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 Punkte
Ding Liren 2788 ½ 0 ½ 1 0 1 0 ½ ½ ½ . . . . 4.5
Ian Nepomniachtchi 2795 ½ 1 ½ 0 1 0 1 ½ ½ ½ . . . . 5.5

Die FIDE-Weltmeisterschaft 2023 ist das wichtigste Schach-Event des Jahres und entscheidet, wer der nächste Weltmeister wird. Ian Nepomniachtchi und Ding Liren spielen ein Match, um zu entscheiden, wer Carlsens Thron übernimmt, nachdem der aktuelle Weltmeister seinen Titel niedergelegt hat. Das Match ist mit 2 Millionen Euro dotiert und wird über 14 klassische Partien gespielt. Der erste Spieler, der 7.5 Punkte erzielt, gewinnt.


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