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Ding Liren ist neuer Schachweltmeister
Ding Liren ist der neue Schachweltmeister. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Ding Liren ist neuer Schachweltmeister

JackRodgers
| 2 | Berichterstattung von einem Schach-Event

Ding Liren hat die FIDE Weltmeisterschaft 2023 gewonnen.

Nachdem die ersten 3 Partien im Schnellschach Playoff Remis geendet waren, besiegte er Ian Nepomniachtchi in der vierten und letzten Partie.

Damit haben wir zum ersten Mal seit 2013 einen neuen Schachweltmeister und die Ära von Magnus Carlsen ist offiziell beendet.

Neben dem Titel hat Ding auch ein Preisgeld von € 1.100.000 gewonnen, während sich Nepomniachtchi mit dem Titel des Vize-Weltmeisters und € 900.000 trösten darf.

So konntet Ihr bei der FIDE Weltmeisterschaft 2023 zusehen:
Wir übertrugen alle Partien der FIDE Weltmeisterschaft 2023 mit Kommentaren von Steve Berger und interessanten Gästen wie Jan Gustafsson, Sonja Bluhm und Fiona Steil-Antoni auf Chess.com/TV, Twitch und YouTube. Die englischsprachige Übertragung konntet Ihr auf https://www.youtube.com/@chesscomlive ansehen.
Hier seht Ihr die Aufzeichnung der Übertragung der Playoffs:
Kommentatoren: Steve Berger und Sonja Bluhm

Freudentränen und ein seltener Gefühlsausbruch von Ding waren die ersten Szenen aus dem St. Regis Hotel in den Augenblicken, nachdem Nepomniachtchi die vierte und letzte Schnellschachpartie in Astana aufgegeben hatte. Den Kopf in die Hände gestützt, traf Ding die Erkenntnis und Erleichterung gleichzeitig. Die Szene erinnert an einen Satz, den Ding 2019 gesagt hatte: "Der Sinn des Lebens sind die besonderen, herausragenden Momente."

The meaning of life should be in those special, sparkling moments.
—Ding Liren in 2019


Ein emotionaler Moment für Ding. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

"Ich habe das Gefühl, dass dieses Match den tiefsten Teil meiner Seele widerspiegelt", sagte Ding auf der Pressekonferenz, nachdem er den Sieg seinen Freunden, seiner Mutter und seinem Großvater gewidmet hatte.

Die ehemalige Weltmeisterin Xie Jun war eine der ersten, die den neuen Weltmeister umarmte. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Mit einem Stand von 1,5-1,5 in einem Match, das statistisch gesehen fast nur Weiß dominiert hatte (in den ersten 17 Partien hatte Weiß fünf und Schwarz nur eine gewonnen) erwarteten nur die wenigsten, dass Ding versuchen würde, in der letzten Partie mit Schwarz zu pressen.

Die Anti-Marshall-Variante in der spanischen Eröffnung bot die Arena für die 18. Partie. Nachdem Nepomniachtchi in früheren Partien, in denen er nach eigenen Worten "alle Chancen hatte", mit der Eröffnung Erfolg hatte, erklärte er mit dem ungewöhnlichen Zug 13.Lb1 seine Absicht, auf Sieg zu spielen.

Im weiteren Verlauf des Mittelspiels trafen dann aber beide Spieler Entscheidungen, die darauf hindeuteten, dass sie auf Sieg spielten. Ding sagte später: "Die weißen Figuren sind nicht ewig im Vorteil."

Wird Ding eine neue Generation von Spielern ermutigen, ehrgeiziger mit Schwarz zu spielen? Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Als sich die Stellung öffnete, begann das Läuferpaar von Nepomniachtchi bedrohlich auszusehen und viele Zuschauer begannen, Ding abzuschreiben. Während dieser Zeit erreichte die Zuschauerzahl von Chess.com auf allen Plattformen mit 441.000 Zuschauern einen neuen Rekord.

Während die Schachwelt mit angehaltenem Atem wartete, spielte Nepomniachtchi bald die Ungenauigkeit, 35.Ta1, die die Stellung wieder auf Ausgleich brachte, obwohl die Stellung für Nepomniachtchi weiterhin einfacher aussah. "Es war schwer vorstellbar, dass ich verlieren könnte", waren Nepomniachtchis Gedanken über diesen Moment und die meisten Zuschauer dachten ebenfalls, dass diese Partie nur zwei Ergebnisse haben könnte.

Hunderte von Fans drängten sich in den Korridor vor der Spielhalle und warteten auf die Spieler.. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Die Kommentatoren Fabiano Caruana und Robert Hess waren sich einig, dass Dings beste verbleibende Chance darin bestand, ein Endspiel zu erreichen, in dem der a-Bauer gefährlich werden könnte und es schien, dass Ding das gleiche intuitive Gefühl hatte.

Zwei Minuten und 30 Sekunden vor Schluss spielte Ding dann den brillanten Zug 42...De2 und die Dynamik änderte sich. Caruana dachte: "Diesen Zug hat Nepo vielleicht übersehen."

Nepomniachtchi bot quasi ein Remis durch ein Dauerschach auf den weißen Feldern an und die Partie schien schon in diese Richtung zu gehen, aber dann fand Ding den erstaunlichen Zug 46...Tg6. In einer Stellung, der nur als Alptraum eines jeden Schachspielers bezeichnet werden kann, beschloss Ding, auf Sieg zu spielen, indem er seine zweitstärkste Figur freiwillig an seinen König fesselte! "Ich hatte das Gefühl, dass mein König auf h7 sicherer war", war Dings gelassene Begründung für einen Zug, der sich später als Katalysator für den Gewinn der Weltmeisterschaft entpuppen sollte.

Als Ding dann den Zug 47...c4 spielte, wusste Nepomniachtchi bereits, dass er in Schwierigkeiten steckte: "In der vierten Partie musste ich genauer spielen. Nach dem Zug c4 hatte ich wenig Zeit und es war schwierig." Ein Teil dieser Besorgnis könnte auf die klinische Zurschaustellung der Endspieltechnik seines Gegners im bisherigen Match zurückzuführen gewesen sein.

Großmeister Rafael Leitao zeigt uns die alles entscheidende Partie:

Und weil Analysen nicht jedermanns Sache sind, zeigt uns "The Big Greek" diese Partie als Video:

In einem Stil, der wohl zum Synonym für seine Regentschaft als 17. Weltmeister werden wird, rollte Ding seine Bauern zum Sieg über das Brett. Ein Handschlag im 68. Zug markierte das Ende einer außergewöhnlichen Weltmeisterschaft, die zum ersten Mal in der Schachgeschichte fast ein Blitz-Playoff benötigt hätte, um einen Sieger zu ermitteln.

Ein freundlicher Händedruck besiegelt die Niederlage. Foto: Maria Emelianova/Chess.com

Glückwunschbotschaften von Schachgrößen aller Generationen trafen ein und am meisten hat sich Ding wahrscheinlich über das virtuelle Abnicken des nun ehemaligen Weltmeisters Magnus Carlsen gefreut, der getwittert hatte: "Selbstfesselung für die Unsterblichkeit. Herzlichen Glückwunsch Ding!!", und damit auf den Zug 46.Tg6 anspielte.

Für alle, die sich für die drei Partien interessieren, die zum finalen Showdown führten, wollen wir diese natürlich auch erwähnen. Sie waren ebenfalls voller Spannung und großer Momente. Ding eröffnete den Tiebreak mit 1.d4 und wollte damit wohl zeigen, dass seine Partie in Runde 14, die völlig außer Kontrolle geraten war, nur eine Art Betriebsunfall war. Als er zu seinen Wurzeln zurückkehrte und eine katalanische Struktur auf dem Brett war, erklärte Caruana, dass "Ding definitiv das Ergebnis der Eröffnung diktiert".

Die Bühne war bereitet für das Finale der Weltmeisterschaft. Der Siegerpokal wartete im Hintergrund. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Nepomniachtchi spielte in seinem gewohnten Stil, zog sowohl schnell als auch aktiv und keiner der Spieler scheute vor Komplikationen im Mittelspiel zurück. Zwischenzüge waren in der ersten Partie, als die Spieler um die Initiative rangen, das zentrale Thema.

Der aufregendste Moment der Partie war Nepomniachtchis Zug 25...axb6, einem "Botez-Gambit für Fortgeschrittene", wie Caruana es nannte, das die Liquidation erzwang und zu einer Zugwiederholung nach 35 Zügen führte.

Über das Ergebnis sagte Caruana: "Aufgrund der gefährlichen Eröffnung kann Ian sehr glücklich sein", während Hess optimistischer über Nepomniachtchis mutigen Einsatz während der Partie war und Ernest Hemingway zitierte: "Mut ist Grazie unter Druck."

In der ersten Partie zeigte Nepomniachtchi eine starke Verteidigung. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

In der zweiten Partie entschied sich Nepomniachtchis für die gleiche Eröffnung, die wir später noch in der vierten Partie zu sehen bekommen würden und von der wir in diesem Bericht schon ausführlich gesprochen haben. Er spielte sie mit dem Wissen, dass er in den regulären Partien Nummer 11 und 13 mit demselben Setup kleine Vorteile gefunden hatte und wie in der 11. Partie versuchte Nepomniachtchi, Ding dazu zu bringen, mit einem b5-c5-Aufbau zu spielen und Zugang zum Feld d5 zu erhalten. Ding hatte aber einen anderen Plan und änderte die Dynamik der Stellung mit 11.bxa4.

Als die Stellung weiter voranschritt, verdiente sich Nepomniachtchi dank der zerstörten Bauernstruktur von Schwarz das Recht zum Angriff. Hess behauptete kühn, dass es einen deutlichen "Eröffnungsvorteil für Nepomniachtchi" gebe, aber Ding bewies erneut seine Fähigkeiten in der Verteidigung, indem er in ein Turmendspiel abwickelte und die Punktzahl ausgeglichen hielt.

Nepomniachtchi bereute später seine verpassten Chancen in dieser Partie und erklärte: "Der Schlüsselmoment war in der zweiten Partie. Dort hatte ich mehrere Gewinnchancen, aber ich habe sie nicht bemerkt."

Kommentatorin Tania Sachdev bezeichnete die dritte Schnellschachpartie als "die friedlichste", aber bekanntlich stellte sich ja heraus, dass sie nur die Ruhe vor dem Sturm war. In seiner letzten Partie mit den weißen Steinen eröffnete Ding erstmals in der Weltmeisterschaft mit dem Zug 1.Sf3. Das Double-Fianchetto-Setup des Chinesen wurde von Nepomniachtchi leicht gezähmt und die Figuren begannen vom Brett zu fliegen.

Im 21. Zug erlebten wir einen kurzen spannenden Moment, als den Kommentatoren klar wurde, dass Nepomniachtchi einen Turm- und Läuferendspiel mit Minusbauern spielen musste. Nepomniachtchi, der die meiste Zeit der Partie selbstbewusst durch den Raum gelaufen war, sah keine Probleme mit der Stellung und bewies, dass der materielle Vorteil von Weiß wertlos war. Er erzwang einen Turmtausch und auch diese Partie endete mit einer Zugwiederholung.

Nach der schicksalhaften Entscheidungspartie und der Befreiung von den Fesseln, die sie daran hinderten, Informationen über ihre Vorbereitung und Teams zu veröffentlichen, würde Nepomniachtchi verraten, dass sein Team keinen anderen als den ehemaligen Weltmeister Vladimir Kramnik und die Großmeister Maxim Matlakov, Ildar Khairullin und Nikita Vitiugov umfasste.

Ding hingegen hatte ja schon lange vorher bekannt gegeben, dass er von Richard Rapport unterstützt wird und dieser machte nach dem Sieg auch fleißig Fotos mit Dings Freunden und Familie.

Rapport mit seiner Frau, Cindy Li und Xie Jun. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Auf die Frage, was er nach diesem Sieg gerne machen würde, erwähnte Ding, dass er in seiner Freizeit gerne Reisen unternimmt. Eine Reise kann der neue Weltmeister auch sicher unternehmen aber was die Freizeit betrifft, wird es für den Champion nach diesem Event eher schlecht aussehen, denn in nur vier Tagen wird er zusammen mit Nepomniachtchi, Rapport und anderen Top-GMs bei der Grand Chess Tour in Bukarest spielen.

Mit dem Turnier in Rumänien beginnt auch schon der neue Weltmeisterschafts-Zyklus und damit stellen sich interessante Fragen. Wie lange wird Ding den begehrtesten Titel im Schach halten können? Und wird ihn Carlsen im nächsten Zyklus herausfordern? Ungeachtet der Antworten auf diese Fragen ist eines sicher: Schach war noch nie so lebendig wie jetzt, und die FIDE-Weltmeisterschaft 2023 war ein absoluter Beweis für die tolle Unterhaltung, die Schach bieten kann.

Und damit sind wir am Ende der Berichterstattung dieser Weltmeisterschaft angelangt und überlassen die letzten Worte einem der größten Schachspieler aller Zeiten: Anatoly Karpov: "Schach ist alles! Kunst, Wissenschaft und Sport".

Der neue Weltmeister. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Hier haben wir Euch noch eine Playlist mit YouTube-Videos über die WM zusammengestellt:

Der Spielstand nach den 4 Playoff Partien

Name Schnellschach Elo 1 2 3 4 Punkte
Ding Liren 2829 ½ ½ ½ 1 2.5
Ian Nepomniachtchi 2761 ½ ½ ½ 0 1.5

Der Spielstand nach den 14 klassischen Partien

Name Elo 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 Punkte
Ding Liren 2788 ½ 0 ½ 1 0 1 0 ½ ½ ½ ½ 1 ½ ½ 7
Ian Nepomniachtchi 2795 ½ 1 ½ 0 1 0 1 ½ ½ ½ ½ 0 ½ ½ 7

Die FIDE-Weltmeisterschaft 2023 ist das wichtigste Schach-Event des Jahres und entscheidet, wer der nächste Weltmeister wird. Ian Nepomniachtchi und Ding Liren spielen ein Match, um zu entscheiden, wer Carlsens Thron übernimmt, nachdem der aktuelle Weltmeister seinen Titel niedergelegt hat. Das Match ist mit 2 Millionen Euro dotiert und wird über 14 klassische Partien gespielt. Der erste Spieler, der 7.5 Punkte erzielt, gewinnt.


Weitere Berichte von der WM 2023:

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