GM Lyudmila Rudenko
Bio
Am 27. Juli 2018 überraschte Google alle Schachfans. An diesem Tag veröffentlichte Google eine Zeichnung im Stil der 1950er Jahre, um das Talent der Damen-Weltmeisterin Lyudmila Vladimirovna Rudenko (1904-1986) zu würdigen.
Ihr habt diesen Namen noch nie gehört? Dann wird es aber höchste Zeit!
Die künftige Weltmeisterin wurde am 27. Juli 1904 in der ukrainischen Kleinstadt Lubny geboren. Im Alter von 10 Jahren brachte ihr ihr Vater das Schachspielen bei. Er war während der Zarenherrschaft Regierungsbeamter, während des Bürgerkriegs Anwalt und später Priester - nicht die sicherste Karriere in der Sowjetunion.
Seine Tochter studierte in Odessa Volkswirtschaft und bestritt 1926 ihr erstes Schachturnier. Sie wurde schon bald für ihr kompromissloses Improvisationsschach, ihre Opfer und ihre Liebe für Komplikationen bekannt.
Anfangs ging das von ihr entzündete Feuerwerk jedoch meist schief. Ihre Freunde baten sie oft, zweimal (oder besser dreimal) nachzudenken, bevor sie eine Figur opferte, aber wenn sie in Form war, war sie nicht aufzuhalten. 1928 gewann sie alle 12 Partien bei der Moskauer Meisterschaft. Die amtierende Sowjetmeisterin (und zukünftige Weltmeisterin) Olga Rubtsova war unter ihren Gegnern.
Bald darauf heiratete Rudenko Lev Goldstein, einen prominenten Wissenschaftler im Fachgebiet der technischen Kybernetik und zog nach Leningrad (Sankt Petersburg), wo das Damenschach im großen Stil gefördert wurde. Ungefähr 200 Frauen spielten dort in Schachclubs, ausgewählte Frauenmannschaften trafen regelmäßig auf Männer mit vergleichbarer Spielstärke und es wurden reine Damenmeisterschaften und -turniere ausgetragen.
Rudenko gewann 1932 und 1936 die Leningrader Meisterschaft, aber bei Konkurrentinnen wie Olga Semenova oder Lydia Ageeva war sie nur eine von vielen starken Schachspielerinnen in dieser Stadt.
Lyudmila Rudenko, etwa 1928.
Rudenko spielte auch in einigen offenen Turnieren. 1939 zeigte sie eine gute Endspieltechnik und konnte den Schachmeister Nikolay Zubarev, Teilnehmer des Moskauer Schachturniers von 1925, besiegen.
Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es in der UdSSR nur sehr wenige Schachprofis: Der zukünftige Weltmeister Mikhail Botvinnik war Forscher am polytechnischen Institut, Grigory Levenfish, sein Hauptkonkurrent Ende der 1930er Jahre und zweifacher sowjetischer Meister, war leitender Ingenieur einer Chemiefabrik und Rudenko arbeitete als Planer und Ökonomin in verschiedenen Fabriken.
1941, nach Ausbruch des Krieges, wurde ihre Fabrik von Leningrad nach Tschernjachowsk in Baschkortostan verlegt. Am neuen Standort angekommen, wurde Rudenko beauftragt, nach Leningrad zurückzukehren und die mehreren Dutzend Kinder von Fabrikangestellten, die in der ersten Evakuierungswelle in Leningrad zurückgeblieben waren, nach Tschernjachowsk zu holen.
Die Sowjetregierung hatte den Arbeitern und Maschinen eine höhere Priorität eingeräumt, um die Produktion am neuen Standort der Fabrik sofort aufnehmen zu können. Dann rückte die Front der ehemaligen russischen Hauptstadt immer näher. Rudenko schaffte es gerade noch, alle Kinder einzusammeln und der Leningrader Blockade, durch die schon bald eine Million Zivilisten verhungern und erfrieren sollten, zu entkommen. Im Kriegschaos brauchte der Zug für die 2000 km lange Strecke 19 Tage und Lyudmila musste enorme Anstrengungen unternehmen, um alle Kinder zu ernähren - ganz zu schweigen vom Beschuss und der Bombardierung. Bis zum Ende ihrer Tage erinnerte sich Rudenko an diese Reise und betrachtete die Tatsache, dass alle Kinder lebend das Ziel erreichten, als die größte Leistung ihres Lebens.
Rudenko bei einer Simultanveranstaltung 1950
Nach dem Tod von Vera Menchik im deutschen Bombenhagel im Jahr 1944 war der Thron der Weltmeisterin vakant und die Sowjetunion wollte diesen Titel mit aller Macht haben. Alle potenziellen Kandidatinnen wurden von den stärksten sowjetischen Meistern ausgebildet. Nach der Rückkehr nach Leningrad im Jahr 1947 wurde Rudenko von den GMs Alexander Tolush und Grigory Levenfish trainiert. Sie verbrachte viel mehr Zeit mit Schach als zuvor und verbesserte sich in ihren Vierzigern, was im Schach eine Seltenheit ist.
Dennoch galt sie am Vorabend der Schachweltmeisterschaft als die schwächste unter den sowjetischen Damen (Olga Rubtsova, Elisaveta Bykova und Valentina Belova nahmen ebenfalls teil), denn im Gegensatz zu ihren Landsfrauen hatte sie noch nie die sowjetische Damenmeisterschaft gewonnen und ihre Ergebnisse waren instabil.
Dieses Turnier wurde jedoch ein Höhepunkt ihrer Karriere. Sie präsentierte sich in sehr guter Verfassung, verpasste keine Gelegenheit für taktische Einschläge, manövrierte und verteidigte mit Erfolg und belegte am Ende mit 11,5 von 15 möglichen Punkten den ersten Platz.
Am 19. Jänner 1950 wurde Rudenko von FIDE-Vizepräsident Marsel Berman mit einem Lorbeerkranz zur Weltmeisterin gekrönt.
Der neue Champion.
1952 wurde sie dann auch sowjetische Meisterin.
Ein Jahr später verlor Rudenko ihr WM-Match gegen die 10 Jahre jüngere Bykova, blieb aber ein weiteres Jahrzehnt lang in sowjetischen und internationalen Wettbewerben sehr aktiv.
In ihren letzten Lebensjahren war Rudenko fast vollständig erblindet. Ihre Liebe zum Schach hat sie jedoch nie verloren.